W.A. MOZART – Le Testament Symphonique

Jordi Savall, Le Concert des Nations

21,99


Mitte des Jahres 1788 erreichte Mozart im Alter von 32 Jahren seine künstlerische Reife. Sein Schaffen wird überragt von den die drei letzten Symphonien – absolute Meisterwerke, die er in dem kurzen Zeitraum von nur anderthalb Monaten komponierte. Das außerordentliche „musikalische Massiv“ mit drei Gipfeln, bestehend aus der Symphonie Nr. 39 in es-Moll (vom 26. Juni 1788), der Symphonie Nr. 40 in g-Moll (vom 25. Juli) und der Symphonie Nr. 41 in C-Dur, der sogenannten Jupiter-Symphonie (vom 10. August), stellt zweifellos Mozarts „Symphonisches Testament“ dar.


Mozarts Symphonisches Testament

1787-1788 Jahre der künstlerischen Reife, Jahre der Not

Mitte des Jahres 1788 erreichte Mozart im Alter von 32 Jahren seine künstlerische Reife. Sein Schaffen wird überragt von den die drei letzten Symphonien – absolute Meisterwerke, die er in dem kurzen Zeitraum von nur anderthalb Monaten komponierte. Das außerordentliche „musikalische Massiv“ mit drei Gipfeln, bestehend aus der Symphonie Nr. 39 in es-Moll (vom 26. Juni 1788), der Symphonie Nr. 40 in g-Moll (vom 25. Juli) und der Symphonie Nr. 41 in C-Dur, der sogenannten Jupiter-Symphonie (vom 10. August), stellt zweifellos Mozarts „Symphonisches Testament“ dar. Es handelt sich um eine titanische Leistung, die Mozart ohne bestimmten Auftrag vollbrachte und, nicht zu vergessen, unter extrem prekären Bedingungen, wie folgender Brief beweist, den er fast zur gleichen Zeit wie seine am 25. Juli beendete Symphonie in g-Moll (KV 550) verfasste. Adressat ist Michael Puchberg, Ordensbruder der Loge Zur Wahrheit, der zu jener Zeit häufig Mozarts verzweifelte Hilferufe erhörte und ihm wiederholt Geld lieh:

„Liebster Freund und O. B.

Meine Sachen habe ich mit Mühe und Sorge so weit gebracht, daß es mir darauf ankömmt, mir auf diese 2 Versatzzettel etwas Geld vorzustrecken. – Ich bitte Sie bei unserer Freundschaft um diese Gefälligkeit, aber es müßte augenblicklich geschehen. – Verzeihen Sie meine Zudringlichkeit, aber Sie kennen meine Lage.“

Heute fällt es schwer sich vorzustellen, dass die erschütternde Größe von Mozarts so einzigartigem wie bewundernswertem musikalischen Einfallsreichtum im krassen Gegensatz zu einer unerträglichen, ihn besonders in den letzten Lebensjahren täglich bedrängenden Notsituation stand. Wir schätzen uns deshalb nicht nur glücklich, die Aufnahme der drei letzten Symphonien – Mozarts „Symphonisches Testament“ – in der Interpretation des Orchesters Le Concert des Nations mit historischen Instrumenten präsentieren zu können, sondern fühlen uns zudem verpflichtet, mit Nachdruck das große Leid und die extremen Schwierigkeiten ins Bewusstsein zu rücken, mit denen Mozart in einer Zeit und in einer Gesellschaft zu kämpfen hatte, die nicht in der Lage war, seine musikalische Reichweite zu verstehen, geschweige denn, ihm die moralische und finanzielle Unterstützung zu gewähren, die er brauchte, um sein unvergleichliches Genie voll zu entfalten.

Daher erschien es mir während der Vorbereitung der vorliegenden Interpretation ganz besonders nötig, mich zum besseren Verständnis der Lebensumstände und der künstlerischen Motive Mozarts bei der Komposition der drei letzten Symphonien erneut in das Studium der wichtigsten biographischen Ereignisse, besonders in der ersten Hälfte des Jahres 1788 und den folgenden Jahren, zu vertiefen. Mozart durchlebte damals eine Phase außerordentlicher Schaffenskraft und Reife, doch zugleich war es eine Periode, in der sein Leben die Schwelle von der Armut zur schlimmsten Verelendung überschritt, so dass er ständig gezwungen war, sich maßlos zu verschulden und seine Freimaurerbrüder wiederholt um Geld bitten musste. Den Freimaurern gehörte er an, seit er am 14. Dezember 1784 einer Loge beigetreten war.

Dank der hervorragenden Forschungsarbeit von H. C. Robbins Landon in den achtziger Jahren konnten Mozarts Verbindungen zur Freimaurerei während der letzten Lebenszeit, insbesondere seine Mitgliedschaft in der Wiener Loge „Zur gekrönten Hoffnung“, nachgewiesen werden. Aus diesem speziellen Grund haben wir das anonyme Gemälde mit der Darstellung einer 1790 abgehaltenen Sitzung der Freimaurerloge „Zur gekrönten Hoffnung“ als Plattencover gewählt. Mozart ist ganz deutlich in der ersten Person am rechten Rand des Bildes zu erkennen. Um die visuelle Präsenz Mozarts auf dem Cover zu verstärken, haben wir uns erlaubt, die Illustration im Hintergrund des Gemäldes durch das zwischen 1789 und 1790 entstandene unvollendete Porträt Mozarts von der Hand seines Schwagers Joseph Lange zu ersetzen. Die im Original zu sehende allegorische Wandmalerei (im Innern des Booklets wiedergegeben) stellt einen Regenbogen über einer Wasserfläche dar. Der nach der Sintflut am Himmel erschienene Regenbogen war in der Sprache der Bibel wie der Freimaurer ein Symbol der Hoffnung, so dass die Eingeweihten unweigerlich verstanden, dass sie eine Abbildung der Loge „Zur gekrönten Hoffnung“ vor sich hatten.

Mozarts Verbindung zur Freimaurerei wurde durch die Entdeckung einer Originalschrift bestätigt, wo der Komponist als Logenmitglied erwähnt wird:

  1. Mozart Wolfgang K. K. Kapellmeister III

Bekannt ist ebenfalls, dass Mozarts wichtigste Freimaurerkomposition, die Maurerische Trauermusik (K.477), 1785 anlässlich der Trauerfeier für zwei Logenbrüder, Georg August Herzog von Mecklenburg-Strelitz (gestorben am 6. November) und Franz Graf von Esterházy von Galántha (gestorben am 7. November) aufgeführt wurde. Der Graf war Logenmitglied und am 17. November fand eine Trauerfeier in der Loge statt, an der ein so außergewöhnliches wie vom Zufall glücklich vereintes Orchesterensemble mitwirkte. Dazu gehörten die Brüder Anton David und Vincenz Springer, beide Musiker, die den Part des Bassethorns übernahmen. Es gibt Grund zu der Annahme, dass Mozarts Freund Anton Stadler die Klarinettenstimme spielte. Robbins Landon hat völlig Recht, wenn er schreibt: „Mit ihrer symbolischen Dichte beweist die Maurerische Trauermusik, dass Mozart ganz von der Theorie und der Philosophie des Todes und ihrer symbolischen Beziehung zum ersten Grad des Ordens durchdrungen war.“[1]

Das Jahr 1787 begann für Mozart unter glücklichen Vorzeichen, nachdem Prag ihm begeistert all das entgegenbracht hatte, was Wien ihm verweigerte: Erfolg, offizielle Unterstützung, Bühne und Theaterensemble. Aber er befand sich in einer Krise und antwortete: „Ich gehöre zu viel anderen Leuten und zu wenig mir selbst.“ Er sehnte sich nach Einsamkeit um komponieren und nachdenken zu können. In den nächsten Monaten ereigneten sich Dinge, die ihn persönlich zutiefst trafen: die Abreise von Nancy Storace (die Susanna seiner Oper Figaros Hochzeit), die der zartesten Liebe seines Lebens ein Ende setzte; der Tod seines dritten Kindes; der Tod seines Freundes Hatzfeld, die Nachricht (am 4. April) von der Verschlechterung des Gesundheitszustands seines Vaters und schließlich von dessen Tod, der in Mozarts Abwesenheit am 28. Mai 1787 eintrat.

Zu jener Zeit äußerte sich Mozart seinem Vater gegenüber brüderlich (im Sinn der freimaurerischen Bruderschaft) über den Sinn des Todes. In einem berühmt gewordenen Brief vom 4. April 1787 vertraute Wolfgang dem schon todkranken Leopold Mozart an: „Da der Tod (genau zu nehmen) der wahre Endzweck unsres Lebens ist, so habe ich mich seit ein paar Jahren mit diesem wahren, besten Freunde des Menschen so bekannt gemacht, daß sein Bild nicht alleine nichts Schreckendes mehr für mich hat, sondern recht viel Beruhigendes und Tröstendes! Und ich danke meinem Gott, daß er mir das Glück gegönnt hat, mir die Gelegenheit (Sie verstehen mich) zu verschaffen, ihn als den Schlüssel zu unsrer wahren Glückseligkeit kennen zu lernen. – Ich lege mich nie zu Bette, ohne zu bedenken, daß ich vielleicht (so jung als ich bin) den andern Tag nicht mehr sein werde.“

Einen Monat später ist es Leopold Mozart, der in einem Brief an seine Tochter Nannerl vom 11. Mai desselben Jahres seiner Unruhe Ausdruck verleiht: „Dein Bruder wohnt itzt auf der Landstraße No. 224. Er schreibt mir aber keine Ursache dazu. Gar nichts! Das mag ich leider errathen.“ Mozart hatte sich damals bereits verschuldet – aber welche Gründe, welche Umstände veranlassten ihn, über seine Verhältnisse zu leben? Wir sind hier ganz auf Vermutungen angewiesen.

Am 29. Oktober 1787 wurde seine auf dem berühmten Werk von Tirso de Molina basierende Oper Don Giovanni in Prag uraufgeführt. Lorenzo da Ponte lieferte eine bemerkenswerte Inszenierung, die Mozarts Anspruch Rechnung trug, den Nebenfiguren mehr Gewicht zu verleihen, indem er das Quartett, das Masken-Trio und das Sextett einführte. Mit der souveränen Opernkonzeption bewies Mozart sein dramaturgisches Genie auf der Höhe eines Shakespeare oder Molière.

Die enormen finanziellen Schwierigkeiten konnten Mozarts vom Prager Erfolg stimulierten schöpferischen Elan nicht bremsen, im Gegenteil. Nach Beendigung der Oper durchlebte er eine angeregte Schaffensphase, an deren Ende die Komposition der drei letzten Symphonien stand. Diesbezüglich teilen wir die Auffassung von Jean-Victor Hocquard: „Man ist versucht, an ein großes symphonisches Projekt in drei Teilen zu denken. Es wäre daher gut, die drei Meisterwerke nicht zu trennen, sondern als ein einziges, riesiges symphonisches Stück zu begreifen.“ Der Freimaurer Mozart wusste, dass er Teil des Universums ist, dass es zwischen seiner Geschichte und derjenigen der menschlichen Gesellschaft mehr als eine – mal verborgene, mal offensichtliche – Beziehung gibt. So stimmen wir auch mit J. und B. Massins Feststellung überein: „Aus seinem innersten Erlebnis (gelebter Erfahrung) entsteht die Trilogie von 1788, aber sie übersteigt die individuellen Gegebenheiten ohne sie zu verraten, und der von der Symphonie in C-Dur besungene Sieg ist sowohl Wolfgangs Überwindung der Armut und Einsamkeit als auch die Zukunft, zu der die Menschheit fortschreitet.“

Die Einheit der drei Kompositionen liegt für uns offen zutage, sowohl bei ihrer Interpretation als auch beim Anhören. Man achte nur darauf, mit welcher Natürlichkeit und Flüssigkeit der erste Satz der Symphonie in g-Moll sich anschließt und entwickelt, wenn man ihn direkt nach dem abschließenden Allegro der Symphonie in es-Moll spielt oder hört. Denselben Eindruck einer Forstsetzung des musikalischen Diskurses hat man, wenn man im Anschluss an das Finale der Symphonie in g-Moll die Symphonie in C-Dur hört. Deshalb haben wir für Sie die drei Symphonien auf zwei CDs folgendermaßen angeordnet: Die erste CD enthält die Symphonien 39 und 40, die zweite CD enthält die Symphonien 40 und 41. (Dadurch, dass die Symphonie in g-Moll auf der zweiten CD wiederholt wird, ist es möglich, die Symphonien hintereinander zu hören ohne die CD zu wechseln.)

Diese Werke, deren Aufführung Mozart selbst vielleicht nicht einmal erlebt hat, stießen zu seiner Zeit und sogar bei späteren Generationen eher auf Unverständnis. Ein Eintrag in dem 1790 von Ernst Ludwig Gerber herausgegebenen Musiklexikon (Historisch-Biographisches Lexicon der Tonkünstler) illustriert Mozarts Isolierung und die Schwierigkeit, von den Musikliebhabern seiner Zeit verstanden zu werden:

„Dieser große Meister hat sich durch seine frühe Bekanntschaft mit der Harmonie so tief und innig mit selbiger vertraut gemacht, daß es einem ungeübten Ohre schwer fällt, ihm in seinen Werken nachzufolgen. Selbst geübtere müssen seine Sachen mehrmals hören.“

„Zu viele Entwicklungen ohne Ziel und Wirkung, zu viele technische Vorgehensweisen“, bemerkte Berlioz kritisch zu Mozarts letzten Symphonien. „Er [Berlioz] hat Recht, wenn man von der Musik phantasievolle und leidenschaftliche Ausbrüche erwartet, die von einer die ‚Effekte‘ wissentlich und gefällig dosierenden Rhetorik unterhalten und vorangetrieben werden. Mozart allerdings“, fährt Jean-Victor Hocquard in seiner großartigen Mozart-Biographie (Ed. du Seuil, Paris, 1970) fort, „hat dergleichen nicht gesucht, vielmehr hätte er es nach einmaligem Genuss sofort zerstört. So kennen seine Symphonien vielleicht kein Morgen, aber was der Meister für das Streichquartett und -quintett getan hat, das gelingt ihm in der Gegenwart durch die Orchestermasse ohne Klavier: Er macht daraus ein Material reinster Poesie.“ 1788 erlangte Mozart im Alter von 32 Jahren seine künstlerische Reife und den Gipfel der symphonischen Komposition. Ein „junger“ Komponist namens Ludwig van Beethoven wird ihn elf Jahre später (1799) ablösen, wenn er mit 29 Jahren seine 1. Symphonie in C-Dur verfasst.

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1789 hatte sich Mozarts Lage noch weiter verschlimmert. Welch ein Kontrast zwischen der schöpferischen Intensität dieses Musikgiganten und seiner finanziellen Misere, die immer verzweifelter wurde und ihn viel zu häufig zwang, seine Freunde aus der Freimaurerloge um Geld zu bitten.

In einem anderen Brief an Michael Puchberg vom 12. Juli 1789 schrieb Mozart:

„Gott! statt Danksagungen komme ich mit neuen Bitten! Anstatt Berichtigung mit neuem Begehren! Wenn Sie mein Herz ganz kennen, so müssen Sie meinen Schmerz hierüber ganz fühlen; daß ich durch diese unglückselige Krankheit in allem Verdienste gehemmt werde, brauche ich Ihnen wohl nicht zu wiederholen; nur das muß ich Ihnen sagen, daß ich ungeachtet meiner elenden Lage mich doch entschloß, bei mir Subskriptions-Akademien zu geben, um doch wenigstens die dermalen so großen und häufigen Ausgaben bestreiten zu können, denn von Ihrer freundschaftlichen Zuwartung war ich ganz überzeugt; aber auch dies gelinget mir nicht. Mein Schicksal ist leider, aber nur in Wien mir so widrig, daß ich auch nichts verdienen kann, wenn ich auch will; ich habe 14 Tage eine Liste herumgeschickt, und da steht der einzige Name Swieten!

Im folgenden Jahr, am 20. Januar 1790, wandte Mozart sich erneut an seinen Freund Puchberg:

„Können und wollen Sie die 100 Gulden mir noch anvertrauen, so verbinden Sie mich recht sehr. Morgen ist die erste Instrumentalprobe im Theater. Haydn wird mit mir hingehen. Erlauben es Ihre Geschäfte und haben Sie vielleicht Lust, der Probe auch beizuwohnen, so brauchen Sie nichts als die Güte zu haben, sich morgen Vormittag um 10 Uhr bei mir einzufinden. So wollen wir dann alle zusammen gehen.

Ihr verbundenster Freund

  1. A. Mozart.“

Joseph Haydn und Puchberg verfolgten aus nächster Nähe die Entstehung der Oper Così fan tutte und Puchberg streckte Mozart weiterhin Woche für Woche auf die Garantie des zu erwartenden Honorars Geld vor. Die Uraufführung fand am 26. Januar 1790 im alten Wiener Burgtheater statt. Die Kritik reagierte positiv; zum ersten Mal scheint man sich über eine in Wien aufgeführte Mozart-Oper einig gewesen zu sein. Am Tag nach der Premiere feierte Mozart seinen vierunddreißigsten Geburtstag. Er sollte nur ein Jahr älter werden. Das Ende von 1791 erlebte er nicht mehr. Così fan tutte wurde noch vier Mal aufgeführt, aber als Kaiser Joseph II. am 20. Februar starb, wurden die Theater wegen Staatstrauer bis zum 12. April geschlossen. Für Mozart bedeutete der Tod des Kaisers eine komplette Katastrophe; die Vorstellungen seiner Oper wurden sofort gestrichen und es war ihm unmöglich Konzerte zu geben. Doch die langfristigen Folgen waren noch viel schlimmer.

Von Ende Januar bis Ende April hatte Mozart nichts komponiert – das war seit jenem kritischen Winter 1779-1780 in Salzburg nicht mehr passiert. Aus seiner Depression kann man schließen, dass seine Not nie größer war als jetzt. Am 14. August schickte er Puchberg ein SOS-Signal, es ist der tragischste seiner Bettelbriefe:
„Liebster Freund und Br.
So leidentlich, als es mir gestern war, so schlecht geht es mir heute; ich habe die ganze Nacht nicht schlafen können vor Schmerzen; ich muß mich gestern von vielem Gehen erhitzt und dann unwissend erkältiget haben. – Stellen Sie sich meine Lage vor: krank und voll Kummer und Sorge – eine solche Lage verhindert auch die Genesung um ein merkliches. – In 8 oder 14 Tagen wird mir geholfen werden – sicher –; aber gegenwärtig habe ich Mangel. – Könnten Sie mir denn nicht mit einer Kleinigkeit an die Hand gehen? – Mir wäre für den Augenblick mit allem geholfen. Sie würden wenigstens für diesen Augenblick beruhigen

Ihren wahren Freund, Diener und Br.

  1. A. Mozart.“

In ihrer grundlegenden Arbeit über Leben und Werk Mozarts (Paris 1970) stellen Jean und Brigitte Massin völlig richtig fest: „Zu diesem Zeitpunkt erreicht Mozart die Talsohle seiner Misere. An jenem Tag lässt Puchberg ihm 10 Gulden zukommen, die kleinste Summe, die er ihm je vorgestreckt hat. Damit belaufen sich Mozarts bei Puchberg angesammelte Schulden, zusammen mit dem im vergangenen Winter auf das Honorar für Così fan tutte vorgestreckten Geld, auf 510 Gulden. Die Kurve der von Puchberg geliehenen Summen entspricht ganz genau dem eventuellen sozialen Wert Mozarts. Denn im April – Mai, als noch ernsthaft damit zu rechnen war, dass Mozart die begehrte Stelle am Hof erhalten würde, beantwortete Puchberg Mozarts Bitten mit Sendungen von 150 oder 100 Gulden; sobald sich aber die darauf gerichteten Hoffnungen zerschlugen, verringerten sich die geliehenen Summen, bis sie bei 10 Gulden als Reaktion auf den verzweifelten Brief vom August anlangten.“ Im Lauf der Ereignisse wird sich zeigen, dass die wachsende Distanz zwischen Mozart und dem Hof des neuen Kaisers Leopold II. auf die Furcht zurückzuführen ist, dass die Französische Revolution größere Wellen schlüge, nachdem sie bereits die Monarchie von Versailles erfolgreich ins Wanken gebracht hatte. In Leopold II. verfestigte sich die Überzeugung, dass die Freimaurer – vor allem die mit dem Illuminismus sympathisierenden – mit den französischen Jakobinern verbündet waren. Nun war Mozart der Autor der Oper Le Nozze di Figaro, anlässlich derer Louis XVI. bekanntlich bemerkt hatte: „Man müsste ja die Bastille zerstören, damit die Aufführung dieses Stücks (Die Hochzeit des Figaro) keine gefährliche Inkonsequenz wäre.“ Außerdem hat Mozart nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass er Freimaurer war, und seine besten Freunde aus der Loge waren Illuminaten. „Wie sollte der Musiker, der in der Entführung aus dem Serail die Freiheit besungen hat, im Figaro die Gleichheit und in der Zauberflöte die Brüderlichkeit, nicht mit ganzem Herzen der Devise FREIHEIT! GLEICHHEIT! BRÜDERLICHKEIT! anhängen, die bereits in der Loge Grand-Orient de France umgegangen war und die heute die Revolutionäre proklamieren?“ „Mozarts Fehlen auf der Liste der zur Krönungsfeier eingeladenen Musiker ist nicht die Folge von Vergesslichkeit oder Achtlosigkeit, sondern entspringt dem Willen, ihn lebendig zu begraben“ (J. und B. Massin).

Gegen Ende des schwarzen Jahres 1790 erhielt Mozart ein interessantes Stellenangebot, nämlich als Dirigent der italienischen Oper nach London zu gehen, um dort zwischen Dezember 1790 und Juni 1791 verschiedene Aufführungen zu geben. Mozart kann nicht zusagen, denn um so kurzfristig wegzugehen, müsste er frei sein. Er ist es nicht. Sein Titel eines Kaiserlichen Kammerkomponisten erlaubt nicht, dass er geht, ohne einen Antrag auf Beurlaubung einzureichen. Wie sollte er so schnell Ordnung in eine verfahrene Situation bringen? Wie sollte er das Geld aufbringen um bis nach England zu reisen? Mozart war Gefangener seines Elends, ein Gefangener Wiens. Aber einer seiner Freunde unternahm die Reise, auf die er verzichten musste. Am 15. Dezember 1790 verließ Joseph Haydn Wien zu einer Konzerttournee in London. Haydn war weg und Mozart sah sich erneut allein mit seinen Geldsorgen. Projekte, Entschlüsse, Aufführungen, Selbstanspornungen konnten am notorischen Geldmangel nichts ändern. Mozarts letzter Winter sollte einer der härtesten werden, die er je durchgemacht hatte. Sein Freund Joseph Deiner, Wirt des Bierhauses „Zur Silbernen Schlange“, wo Mozart gern mit befreundeten Musikern die Abende verbrachte, hatte Folgendes erlebt:

„Er erinnerte sich, dass er ein Jahr früher [1790] zu derselben Zeit ebenfalls wegen Holz bei Mozart gewesen sei. Damals hatte er Mozart mit seiner Gattin in seinem Arbeitszimmer getroffen, das zwei Fenster in die Rauhensteingasse und ein Fenster gegen die Himmelpfortgasse zu hatte. Mozart und seine Frau tanzten damals tüchtig im Zimmer herum. Als Deiner fragte, ob Mozart seine Frau tanzen lehre, lachte Mozart und sagte. ,Wir machen uns nur warm,weil uns friert und wir uns kein Holz kaufen können.‘ Deiner lief sogleich fort und brachte von seinem eigenen Holze. Mozart nahm es an und versprach es gut zu bezahlen, wenn er Geld haben werde.“ Ludwig Nohl, Mozart nach den Schilderungen seiner Zeitgenossen, Leipzig, 1880.

1791 begann Mozarts finanzielle Situation sich merklich zu verbessern, besonders im Vergleich zu 1790, jenem katastrophalen Jahr, in dem er fast nichts Bedeutendes komponierte, mit Ausnahme des 2. und 3. Preußischen Quartetts, dem Streichquintett in D-Dur und dem Orgelstück für eine Uhr. 1791 war für Mozart eins der produktivsten Jahre. Er komponierte unter anderem das 27. Klavierkonzert, 6 Deutsche Tänze für großes Orchester, das Ave verum corpus, Die Zauberflöte, La clemenza di Tito, das Klarinettenkonzert in A-Dur, Eine kleine Freymaurer-Kantate und den größten Teil des Requiems.

Am 14. Oktober 1791 befand Mozart sich in Wien, wo er Salieri und dessen Maitresse, der Sängerin Caterina Cavalieri, die Zauberflöte nahebringen konnte. Im letzten der von ihm überlieferten Briefe berichtete Mozart seiner Frau: „Sie sagten beide: eine Opera, würdig bei der größten Festivität vor dem größten Monarchen aufzuführen.“ Am selben Tag erhielt Kaiser Leopold II. in der Wiener Hofburg den nicht unterzeichneten Brief eines Vertrauensmannes (dessen Schrift er erkannte), worin der Erzherzog François von Schloissnig beschuldigt wurde, eine Revolution gegen den Kaiser vorzubereiten. Die Untersuchungen führten zu Baron von Swieten, einem der größten Förderer Mozarts, und zu zahlreichen anderen Mitgliedern der Freimaurerlogen, die von der österreichischen Regierung verdächtigt wurden, nach dem Modell Frankreichs eine konstitutionelle Monarchie einführen zu wollen. Es ist kaum zu bezweifeln, dass auch Mozart, einer der öffentlich bekannten Freimaurer, unter Verdacht geraten wäre.

Diese schreckliche Situation in Verbindung mit Mozarts angegriffener Gesundheit und einem extrem intensiven Arbeitsrhythmus wirkten sich nach und nach fatal auf seinen geistigen und körperlichen Zustand aus. Der entscheidende Schlag kam am 12. November 1791 mit einem harten Gerichtsurteil gegen Mozart infolge eines Verfahrens, in dem Carl Fürst von Lichnowsky[2], von 1784 bis 1786 Mitglied derselben Loge wie Mozart, eine Rolle spielte. Die von dem bedeutenden Mozartbiographen H. C. Robbins Landon im Wiener Hofkammerarchiv entdeckten Dokumente über den bis dahin unbekannten Prozess, liefern zum ersten Mal Beweise für die wahrscheinliche Haupttodesursache des Komponisten im Alter von 35 Jahren. Die Papiere enthüllen, dass Mozart am 12. November 1791 dazu verurteilt wurde, eine Schuld von 1435 Gulden und 32 Kreuzern, sowie die Gerichtskosten von 24 Gulden zu bezahlen. Die Hälfte seines Honorars als kaiserlich königlicher Kammerkomponist wurde gepfändet, sein Besitz dem Zwangsvollstrecker unterstellt. Die näheren Einzelheiten des Prozesses sind nicht bekannt. Doch veranschaulicht man sich Mozarts ohnehin schon extrem prekäre Lage, kommt man leicht zu dem Schluss, dass der durch das erbarmungslose Urteil ausgelöste emotionale und finanzielle Schock den allzu frühen Tod des Komponisten beschleunigt haben muss. 24 Stunden später erlag er seiner schweren Krankheit, in deren letztem Stadium ein Nierenversagen eintrat. Mozart starb am 5. Dezember 1791, 55 Minuten nach Mitternacht, im Alter von 35 Jahren.

Seine Logenbrüder veranstalteten eine Trauerfeier zu seinem Gedächtnis. Ignaz Alberti, Mitglied derselben Loge wie der Komponist, der schon das erste Libretto der Zauberflöte herausgegeben hatte, druckte die Grabrede.

Nach der Trauerfeier vor der Kruzifixkapelle des Stephansdoms am 6. Dezember 1791 um drei Uhr nachmittags wurden die sterblichen Überreste auf den St. Marxer Friedhof jenseits der Stadtmauer gebracht und in einem anonymen Armengrab bestattet.

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„Ich war über seinen Tod eine geraume Zeit ganz außer mir und konnte es nicht glauben, daß die Vorsehung so schnell einen unersetzlichen Mann
in die andere Welt fordern sollte.“

Joseph Haydn

 

Man fragte Rossini:
Wer war der größte Musiker? – Beethoven!
Und Mozart? – Oh! Der ist einzigartig!

Zweihundert Jahre danach ist dieses Urteil immer noch gültig.

 

JORDI SAVALL
Melbourne, 28. März 2019

Übersetzung: Claudia Kalász

 

[1] Als „Bonus Track“ fügen wir unserer Edition der letzten drei Symphonien Mozarts die Aufnahme des Orchesterstücks Maurerische Trauermusik hinzu. So wird man sich besser in das musikalische und spirituelle Ambiente der Freimaurerlogen versetzen können, denen Mozart eng verbunden war. Aus Gründen der zeitlichen Aufteilung steht die Komposition am Ende der ersten CD, doch idealerweise sollte man sie nach dem letzten Satz der Jupiter-Symphonie hören.

[2] Derselbe Lichnowsky, der 15 Jahre später, im Oktober 1806, damit drohte Beethoven verhaften zu lassen, wenn er sich weigern sollte, für die in seinem Schloss stationierten französischen Offiziere zu spielen (Schlesien war nach der Schlacht bei Austerlitz von den napoleonischen Truppen besetzt). Daraufhin verließ der Komponist nach einer heftigen Auseinandersetzung seinen Gastgeber und sandte ihm ein Billett, das keines Kommentars bedarf: „Fürst, was Sie sind, sind Sie durch den Zufall der Geburt. Was ich bin, bin ich durch mich. Fürsten gibt es viele und wird es viele geben. Aber es gibt nur einen Beethoven.“

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