LE CONCERT SPIRITUEL au temps de Louis XV (1725-1774)

Jordi Savall, Le Concert des Nations

17,99


Reference: AVSA9877

  • Le Concert des Nations
  • Jordi Savall

 


In Frankreich wie in ganz Europa blicken die Privatkonzerte auf eine lange Vergangenheit zurück, nachdem die Musik aus Kirchen und Palästen trat und allmählich in Privatwohnungen und Gärten im Freien Einzug hielt. Im Paris der ausgehenden Regierungszeit Ludwigs XIV., wo in den Worten von Huber Le Blanc (Verfasser der berühmten Défense de la Basse de viole, contre les entreprises du violon et les prétensions du violoncelle, Amsterdam 1740) „rien n’est si à la mode que la musique, passion des honnestes gens et des personnes de qualité“ („nichts ist so sehr in Mode wie die Musik, die Leidenschaft der ehrlichen Leute und der edlen Menschen“), doch erst während „La Régence“ fand mit den ersten Tätigkeit der bald berühmten Reihe Concert Spirituel die erste eigentliche Phase der Privatkonzerte statt. Die Bezeichnung Concert Spirituel stammt vom Gründungsgedanken, Konzerte an etwa 35 Tagen im Jahr anlässlich der Fastenzeit und katholischer Feste zu veranstalten, an denen alle „weltlichen“ Tätigkeiten der bedeutendsten Musik- und Theatereinrichtungen wie die Pariser Oper, die Comédie-Française und die Comédie-Italienne ausgesetzt wurden.

Über Jahre hinweg fanden die Konzerte im reich verzierten Salle des Cent Suisses im Palais des Tuileries statt. Sie begannen um sechs Uhr abends und waren hauptsächlich für das Großbürgertum, den Kleinadel und ausländische Besucher gedacht. Das Programm bestand aus einer Mischung aus geistlichen Choralwerken und instrumentalen Virtuosenstücken französischer und ausländischer, vornehmlich italienischer und deutscher Komponisten. Der 1681 in Paris geborene Anne Danican Philidor, Sohn des Musikbibliothekars Ludwigs XIV., eröffnete die Konzertreihe am 18. März 1725. Das Programm dieses ersten Konzerts bestand aus einer Suite d’airs de violons von Michel-Richard Delalande, seinem Grand motet „Confitebor“, dem Concerto grosso für den Heiligen Abend von Arcangelo Corelli und einer zweiten Motette à grand choeur „Cantate Domino“ von Delalande. Obwohl die französische Musik mit Werken von Couperin, Campra, Delalande, Mondonville, Rebel, Bernier, Gilles, Boismortier, Corrette, Charpentier und Rameau das Repertoire der ersten Jahre prägte, kam bald die Instrumental- und Vokalmusik italienischer, englischer und deutscher Autoren wie Corelli, Pergolesi, Vivaldi, Bononcini, Geminiani, Händel, Telemann, Haydn und Mozart hinzu, die die Liebhaber neuer Musikformen begeisterten.

Die erste Reihe stand unter der Leitung einer Abfolge von Unternehmer-Dirigenten, die eine Lizenzgebühr entrichteten, um ein königliches Privileg zu erhalten, das sie vom Monopol der Pariser Oper (Académie Royale de Musique) zur öffentlichen Musikaufführung befreite. Der Gründer und erster Leiter war Anne Danican Philidor, Sohn des Musikbibliothekars Ludwigs XIV. und Oboisten der Chapelle Royale. Philidor ging jedoch nach zwei Jahren bankrott. Seine Nachfolger Simart Pierre und Jean-Joseph Mouret (1728-1733) erweiterten das Betätigungsfeld um eine Reihe „französischer Konzerte“, nahmen jedoch das selbe Ende. Da niemend bereit war, den Posten anzunehmen, wurde die Reihe ab 1734 vierzehn Jahre lang von der Académie Royale de Musique (1734-1748) verwaltet. Während dieser Zeit wurden Werke französischer Komponisten (insbesondere Michel-Richard Delalande, Mouret, Jean-Joseph de Mondonville und Jean-Philippe Rameau) bevorzugt, obwohl auch Stücke ausländischer Komponisten wie Arcangelo Corelli (1750) und Georg Philipp Telemann (1751) aufgeführt wurden. Schließlich war die Reihe rentabel (weil die Akademie von der Lizenzgebühr befreit war), doch allgemein war es eine Zeit der Stagnation. Zwei neue Unternehmer, Joseph-Nicolas Pancraç Royer und Gabriel Capperan (1748-1762) erhielten das Aufführungsrecht und versuchten ihr Glück, indem sie den Konzertsaal neu ausstatteten und die Musikerzahl im Orchester und Chor erweiterten.

Es wurden weiterhin neue und alte französische Werke (etwa von Rameau 1751) sowie Stücke der bekanntesten Komponisten wie das Stabat Mater von Pergolesi (1753) aufgeführt; weiters traten auch einige der berühmtesten italienischen Sänger auf. Ab 1755 wurden verschiedene Oratorien mit französischem Text (die ursprünglich verboten waren, um nicht gegen die Oper in Konkurrenz zu treten) aufgeführt und ernteten einen großen Erfolg. Bald war die Reihe rentabel. 1762 zwang ein einflussreicher königlicher Beamter, Antoine d’Auvergne, Royers Witwe zum Rückzug aus der Verwaltung des Concert Spirituel (ihr Ehemann war 1755 verstorben) und führte gemeinsam mit einigen Gesellschaftern die Geschäfte bis 1773. Das Publikumsinteresse nahm zu, als ein Wettbewerb zur Komposition von Motetten eingeführt, das Programm mit den begabtesten Violinisten erweitert und Bläser zugelassen wurden.

Ab 1777 stand das Concert Spirituel unter der Leitung von Joseph Legros, seinem letzten und brillantesten Direktor. Legros war ein Starsänger an der Oper und leitete diese bis zu deren Ende 1790 während der Französischen Revolution. Er holte die berühmtesten Künstler aus ganz Europa, erneuerte das Repertoire, indem er die Motetten aus dem 17. Jahrhundert durch innovative Werke von Johann Christian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart (Pariser Sinfonie 1778), Joseph Haydn (dessen Sinfonien in fast jedes Programm Eingang fanden) sowie Gluck, Paisiello, Salieri, Cherubini u. a. ersetzte. Nach der Revolution wurde das Concert Spirituel als eigene Konzertform wiederbelebt, wodurch insbesondere während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine überaus bedeutende Tradition begründet wurde.

Das Repertoire dieses Vorhabens ist auf der Orchestermusik von Komponisten begründet, die zu den meist geschätzten unter den Veranstaltern des Concert Spirituel während der Regierungszeit Ludwigs XV. (1722-1774), insbesondere im Zeitraum 1728-1768 zählten. Damals standen u. a. Stücke von Corelli (1725, 1748, 1750, 1764, 1766), Telemann (1738, 1745, 1751) und Rameau (1728-1768) auf dem Programm.

Zum Gründungskonzert 1725 wurde ein Werk Corellis – das Concerto fatto per la notte di Natale – aufgeführt, und auch später standen andere Werke von ihm auf dem Programm, insbesondere in den sechziger Jahren. Für die vorliegende Einspielung haben wir ein Stück aus Opus 6, das Concerto grosso Nº 4 in D-Dur ausgewählt, das im Jahrzehnt nach 1680 geschrieben und durch dessen posthume Veröffentlichung 1714 in Amsterdam bekannt wurde, die eine große, anhaltende Verbreitung von Corellis Werk einleitete. In diesen Stücken legte Corelli das Modell des Concerto grosso fest, ein Muster, in dem zwei Streichergruppen einander gegenüber stehen, die eine mit zwei Violinen und einem Cello, die andere vierstimmig vor dem ständigen Hintergrund des Basso continuo; auch tritt darin eine abwechselnde Abfolge schneller und langsamer Sätze zum Vorschein.

Die Präsenz von Telemanns Werken im Concert Spirituel war von kürzerer Dauer, nur bis 1751, obwohl viele seiner Werke noch zwei bis drei weitere Jahrzehnte unter vielen Musikern bekannt waren, während er für die meisten Kritiker und Theoretiker nach wie vor als einer der besten Komponisten galt. Zudem trug er erheblich zum so genannten deutschen Stil bei, der Kontrapunktsprache, die den französischen und italienischen (bei Telemann auch den polnischen) zu einem eleganten, leichteren Stil vermischte, obwohl er sich gegen die harmonische Vereinfachung widersetzte, die um die Jahrhundertmitte mit dem italienischen Stil einherkehrte – Telemann selbst behauptete, er habe den polnischen Stil mit einem „italienischen Gewand bekleidet“. Auch sind in seinen Werken französische Elemente sowohl in der Besetzung als auch den formellen Mustern sowie in der häufigen Verwendung programmatischer Elemente (wie La trompette in der Ouvertüre für Gambe) zu finden. Dies erklärt etwa seine längere Präsenz in Le Concert Spirituel. Verwendet er bei vielen Konzerten formell die Viersatzform (langsam – schnell – langsam – schnell) strikt, so können viele seiner Suiten als Beispiele dessen gelten, was Telemanns Zeitgenosse Scheibe Concertouverturen nannte: eine Ouvertüre beträchtlichen Ausmaßes im Vergleich zur Suite mit aufeinanderfolgenden Tanzrhythmen und einer Besetzung für mehrere Soloinstrumente – oft mit zwei in hoher Tonlage – mit Begleitung von Streichern und Continuo wie im Programm dieser Einspielung.

Jean-Philippe Rameau, der einzige französische Komponist an diesem imaginären Pariser Musikabend, stellte seine Opéra-ballet Les Indes Galantes im August 1735 an der Pariser Oper vor. Besonders ab der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre und im folgenden Jahrzehnt stand er oft auf dem Programm von Le Concert Spirituel mit einigen Motetten und auch den Sinfonien und Instrumentalsätzen von Les Indes Galantes. Wie viele andere Werke dieses typisch französischen Bühnengenres zählt auch dieses vier Akte (Entrées genannt). Da Indes dabei als Sammelbegriff für „exotisches Land“ verwendet wird, verfügt der Autor über ausreichend Spielraum für anders klingende Musik, ohne den eindeutig französischen Beigeschmack aufzugeben. Jeder Akt weist eine Reihe von Instrumentalstücken auf, die als Vorspiel, Zwischenspiel, Tanz usw. dienen und oft aus ihrem Originalkontext gerissen und zu einer Suite d’Airs a Jouer zusammengebildet werden, die aus verschiedenen Sätzen in einer weitgehend freien, allgemein Symphonie genannten Form bestehen.

Diese Reihe von Werken ist ein interessantes Zeugnis eines wahren musikalischen Europas, das rund um diese großartige Charakterisierung der verschiedenen Temperamente der Nations entstand und über eine starke, reichhaltige Musiksprache einzelner nationaler Stile zu Tage trat, die jedoch eindeutig in der Suche nach einer utopischen Réunion des Goûts durch das Ideal der Annäherung und Synthese miteinamder verbunden waren, das François Couperin Le Grand so eloquent und prächtig vertrat.

JORDI SAVALL & JOSEP MARIA VILAR

This site is registered on wpml.org as a development site. Switch to a production site key to remove this banner.