JOSEPH HAYDN Septem Verba Christi in Cruce

Jordi Savall, Le Concert des Nations

17,99


Reference: AVSA9854

  • Jordi Savall
  • Le Concert des Nations
  • Raimon Panikkar
  • José Saramago

„Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze“ von Joseph Haydn ist eines der repräsentativsten Musikwerke des Jahrhunderts der Aufklärung. Seitdem sind über zweihundert Jahre vergangen, und doch haben seine geistige Botschaft und sein Ausdrucksvermögen kein Bisschen an Gültigkeit und Nachdruck verloren. Das wundervolle Licht, das aus jeder Note hervorscheint, ist dank des kreativen Geistes, des inneren Reichtums und der dichterisch-musikalischen Symbolkraft des Kapellmeisters des Hauses Esterházy voll und ganz erhalten geblieben. Die sieben langsamen Sätze (acht mit der Introduzione) sind mit einer solchen Vielfalt an musikalischen Mitteln ausgeführt, die im Tempo, der Dynamik, den Tonarten, der Themenauswahl sowie den außerordentlichen Klang- und Ausdrucksfarben ihren Niederschlag findet, dass die Abfolge von äußerlich sehr ähnlichen Stücken dabei völlig in den Hintergrund tritt. Darüber hinaus ist aber vor allem das Hauptmerkmal zu nennen, das diesem Zyklus einen ganz besonderen Wert verleiht: Es ist seine Ausdruckskraft, die eine überaus spannende Intensität und Leidenschaft in all ihren Facetten aufweist. So verstand es auch Haydn, als er selbst diesen Gedanken in einem Brief vom 8. April 1787 an seinen Londoner Verleger William Forster festhielt: „Jede Sonate und jeder Text kommt allein durch die Mittel der Instrumentalmusik zum Ausdruck, so daß der tiefste Eindruck in der Seele des unbedarftesten Zuhörers auf jeden Fall erweckt werde.“
Als Haydn Anfang 1786 diesen besonderen Auftrag erhielt, war er bereits ein in der gesamten Musikwelt berühmter Komponist; dennoch war er sofort von der besonderen Schwierigkeit des Vorhabens fasziniert. In seiner Autobiografie berichtet der Abt („l’abbée“) Maximilian Stadler (1748-1833), wie er sich bei Haydn aufhielt, als der Auftrag einlangte: „Auch mich fragte er, was ich davon hielt. Ich antwortete, daß es mir am besten erschien, wenn er zunächst eine passende Melodie zu den Worten fände und sie anschließend nur mit Instrumenten spielen ließe. Dies tat er auch, doch ich weiß nicht, ob er wirklich die selbe Absicht hatte.“ Als die Vokalfassung von Breitkopf & Härtel 1801 verlegt wurde, erschien ein recht plausibler Erklärungstext von Georg August Griesinger (1769-1845), einem Haydn nahe stehenden Biografen, in dem die Umstände der Schöpfung dieses Werks in seinen eigenen Worten (ipssima verba) erklärt werden: „Vor etwa fünfzehn Jahren bat mich ein Domherr aus Cadis, ein Instrumentalstück über die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze zu komponieren. Damals war es üblich, jedes Jahr in der Kathedrale zu Cadis während der Fastenzeit ein Oratorium aufzuführen, dessen Wirkung besonders hervorgehoben wurde, indem die Wände, Fenster und Pfeiler der Kirche in schwarz bedeckt wurden; allein eine große Lampe, die in der Mitte hing, brach diese heilige Düsterkeit. Zu Mittag wurden alle Tore geschlossen, und alsbald erklang die Musik. Nach entsprechendem Vorspiel bestieg der Bischof seinen Stuhl, sprach eines der sieben Worte und kommentierte es. Anschließend stieg er wieder vom Stuhl herab und stellte sich davor. Diese Zeitspanne wurde von Musik gefüllt. Und so bestieg der Bischof den Stuhl ein zweites, ein drittes Mal usf., und das Orchester spielte jedes Mal am Ende der Predigt. In meinem Werke hatte ich diesen Umstand zu berücksichtigen. Die Aufgabe bestand darin, sieben aufeinanderfolgende Adagi zu je etwa zehn Minuten zu schreiben, ohne dass es der Zuhörer eintönig empfände, und es war kein leichtes.“
Die Tatsache, dass diese Musik als geistiger Kontrapunkt zu einem gesprochenen Kommentar über die sieben letzten Worte Christi dienen sollte, erklärt, weshalb sie rein instrumental war. Für die vorliegende Aufnahme, die getrennt von ihrem liturgischen Kontext gehört werden kann, stellte uns diese Lage vor ein grundlegendes Dilemma: Können wir heute die Botschaft originalgetreu aufnehmen, die uns Haydn mit seiner Musik vermitteln wollte, indem wir den Kontext ihres Entstehens und ihre ursprüngliche Funktion unberücksichtigt lassen? Mit anderen Worten, wie kann ein so besonderes Ritual in das 21. Jahrhundert übertragen werden, ohne seinen tiefen Sinn zu verzerren und in eine ästhetische Reduzierung eines eindeutig kirchlichen Musikwerks zu verfallen? Seit dessen Entstehung sind nämlich über zweihundert Jahre vergangen, zwei Jahrhunderte, die zu den ereignisreichsten und dramatischsten der Weltgeschichte zählen. Diese zwei Jahrhunderte waren Zeugen des erbitterten Kampfes des Menschen für eine langsame, zaghafte Erfüllung des Ideals der Gerechtigkeit und Freiheit, der Toleranz und Solidarität – zwei Jahrhunderte, die trotz allen großartigen wissenschaftlichen und technischen Fortschritts auch Zeugen grauenhafter, fanatischer, barbarischer, unmenschlicher Untaten waren und auch noch sind. Miguel de Cervantes legte Don Quijote folgende Worte in den Mund: „Wo Musik ist, da kann nichts Böses sein.“ Können wir aber nach Auschwitz noch an die Fähigkeit der Musik und der Schönheit glauben, uns gefühlsamer und menschlicher zu machen? Die Antwort lautet eindeutig nein, wenn wir nur imstande sind, ihre ästhetische Dimension zu vernehmen und genießen – doch absolut ja, wenn wir darüber hinaus auch imstande sind, ihre geistige Dimension in vollem Umfang aufzunehmen.
Zum ursprünglichen Kontext zurück kommend, in welchem Haydn dieses Werk komponierte, so erschien es uns unter direkter Bezugnahme auf eine Überlegung über die sieben letzten Worte Christi angebracht, diese Aufgabe zwei großen Denkern unserer Gegenwart anzuvertrauen. So ergänzen Raimon Panikkar und José Saramago die kurzen Zitate aus dem Evangelium mit Texten und Kommentaren, die ihre tiefen geistigen und humanistischen Überzeugungen widerspiegeln. Diese prachtvoll tiefsinnigen Überlegungen bieten über ihre grundlegenden Unterschiede hinaus – oder vielleicht gar ihnen zum Dank – eine neue Wahrnehmung der geistigen und ästhetischen Botschaft im Zuge dieser spannungsvollen Sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze, die sich durch die Kraft der Einfühlsamkeit und des Mitgefühls zu den Letzten Worten des Menschen wandeln – die von niemandem erhörten letzten Worte zahlloser Männer und Frauen, die im Namen einer einseitigen Gerechtigkeit, eines fanatischen Glaubens und eines allzu oft unmenschlichen Kampfes um die wirtschaftliche, politische und geistige Macht Tag für Tag hingerichtet werden. Das absolute Leid ist stets jenes, das der Mensch dem Menschen zufügt, und das ist ein Umstand, der die gesamte Menschheit betrifft. „Die Schönheit wird die Welt retten“, schrieb einst Dostojewski – die Schönheit der Musik gegen das Böse? Wir sind davon überzeugt, wie François Cheng in seinem Buch Cinq méditations sur la beauté (2006) schreibt, „dass es unsere dringende wie ständige Aufgabe ist, diese zwei Geheimnisse zu lüften, die die Extreme der Welt der Lebenden bilden – auf der einen Seite das Böse, auf der anderen die Schönheit. Auf dem Spiel steht nicht weniger als die Wahrheit des Schicksals der Menschheit, ein Schicksal, das auf den Grundwerten unserer Freiheit beruht.“

Jordi Savall
Sommer 2007

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