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J.S. BACH Les Six Concerts Brandebourgeois

Jordi Savall, Le Concert des Nations

Alia Vox Heritage

17,99

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Referència: AVSA9871

  • Le Concert des Nations
  • JORDI SAVALL

 


Nichts ist einfach, wenn man die historischen Umstände bei der Entstehung von Bachs Werken erhellen möchte. Es bedurfte jahrzehntelanger Arbeit hochqualifizierter Musikologen, ihrer intensiven Forschung und feinsinnigen Intuition, um heute genauere Informationen zu haben, die sich aus einem Wust von winzigen, geduldig zusammengetragenen Hinweisen herauslösen ließen. Das ziemlich verborgene Leben des sächsischen Tonkünstlers war eben nicht dazu angetan, die große Werbung zu bewirken, die seine Zeitgenossen Händel oder Rameau begleitete, und der Betroffene selbst hat kaum dazu beigetragen, uns zu helfen, weil er nur wenige Spuren über sein irdisches Leben hinterließ – wie etwa Briefwechsel, Daten oder schriftliche Zeugnisse.

Nichts ist also einfach, und die Nachwelt hat manchmal gern die Spuren verwischt: Die Goldberg-Variationen wurden gewiss genauso wenig für Goldberg geschrieben wie die Messe in h-Moll tatsächlich in h-Moll; und unsere Sechs Konzerte mit mehreren Instrumenten haben nichts Brandenburgisches… Diesen Beinamen verdanken sie dem ersten großen Exegeten von Bachs Werk, dem Deutschen Philipp Spitta, der am Ende des vorigen Jahrhunderts von Brandenburgischen Konzerten sprach, wie man z.B. von den Preußischen Quartetten Mozarts redet, indem man sie nach deutschem Brauch nach dem Widmungsträger benennt. Und hier fängt alles an.

Das kostbare Autograph der sechs Konzerte ist wirklich wunderbarerweise bis heute erhalten, in Schönschrift und mit einer schmeichelhaften Widmung an den Markgrafen Christian Ludwig von Brandenburg auf Französisch: „Gnädigster Herr, da ich vor einer Reihe von Jahren das Glück hatte, mich bei Dero königlicher Hoheit auf deren Befehl zu Gehör zu bringen & und ich damals bemerkte, dass Sie Vergnügen hatte an den kleinen Talenten, die mir der Himmel für die Musik gegeben hat & und als ich mich von Eurer Königlichen Hoheit verabschiedete, geruhten dieselbe, mir die Ehre zukommen zu lassen, mir zu befehlen, Ihnen einige Stücke meiner Composition zuzuschicken: Ich habe also gemäß Ihrem gnädigen Befehl, die Freiheit genommen, meine sehr untertänigsten Pflichten gegenüber dero Königlicher Hoheit zu erfüllen, durch die vorliegenden Konzerte, die ich für mehrere Instrumente gesetzt habe…“ Die Sendung trägt das Datum des 24. März 1721.

Wurden die Konzerte beim Markgrafen aufgeführt? Daran wird gezweifelt. Das markgräfliche Orchester war gerade groß genug, um das 5. und 6. Konzert zu spielen, alles in allem sechs Musiker (und diese hätten noch dazu berühmte Künstler sein müssen!), und das damals unter der Rubrik „verschiedene Konzerte“ eingeordnete Manuskript trägt keinerlei Benutzerspuren. Man hätte sie indessen abschreiben können und die für ihre Aufführung benötigten Musiker jeweils zusammenrufen können. Auch wenn dieses Manuskript verloren gegangen wäre, wären uns ohne unser Wissen einige Seiten der sechs Konzerte bekannt aufgrund ihrer späteren Verwendung durch Bach in einigen seiner kirchlichen (BWV 52 und 174) und weltlichen (BWV 207) Kantaten. Außerdem hat der Komponist das 4. Konzert später für Cembalo, zwei Flöten, Streicher und Continuo umgeschrieben (BWV 1057).

Doch es bleiben andere Quellen. Jedes der Konzerte ist nämlich durch verschiedene handschriftliche Kopien als Partitur oder einzelne Stimmen (davon Bachs eigene für das 5. Konzert) bekannt, Kopien der Berliner Sammlung oder von den Originalen, die der Komponist verwahrt hatte, was beweist, dass diese Stücke nicht so vergessen worden waren wie manchmal behauptet wird. Die Brandenburgischen Konzerte waren also weit vor ihrer allerdings erst 1850 erfolgten Veröffentlichung bekannt und auch aufgeführt worden. Diese Abschriften sind mit ihren Varianten von allergrößtem Interesse, denn durch sie konnte man einen „endgültigen Zustand“ der Werke feststellen und ein wenig ihren Entstehungsprozess nachvollziehen. Bach war immer sehr bemüht, seine bedeutenden Werke wieder aufzugreifen, um sie zu überarbeiten – „poliert sie unaufhörlich und immer wieder…“. Ohne das Berliner Manuskript hätte man nämlich nicht erfahren, dass der Komponist selbst diese sechs Konzerte zu einer festen Gesamtheit zusammengefasst hatte – ein Einzelfall in seinem Instrumentalschaffen –, umso mehr, als sie eher von ihrem Stil, ihrer Form oder Besetzung her gegensätzlich sind, als dass sie sich natürlicherweise zusammenfassen ließen.

Dank der Widmung lässt sich ein wenig das Geschichtliche der Sammlung rekonstruieren. Bekanntlich war Bach Anfang 1719 nach Berlin gereist, um sich dort beim Klavierbauer Mietke ein großes neues Cembalo für sein Orchester in Köthen zu kaufen. Bei dieser Gelegenheit muss er den Markgrafen von Brandenburg, einen Onkel des Königs von Preußen, getroffen haben; er spielte allein oder im Ensemble dem Fürsten etwas vor, der dann voller Bewunderung Werke des Komponisten kennenlernen wollte. „Ein paar Jahre“ später liefert ihm Bach, der damals vielleicht Zukunftspläne für Berlin schmiedete, ein glänzendes Beispiel für seine Kompositionskunst, Konzertstücke, sechs an der Zahl, wie es damals üblich war.

Doch ist die Annahme unbegründet, die Brandenburgischen Konzerte seien für den Markgrafen komponiert worden. Es scheint eher so, dass der Musiker sechs Exemplare aus den für seine Begabung typischsen und bereits zahlreichen Konzertstücken ausgewählt hat, sie für diesen Anlass notfalls auch überarbeitet oder umgeschrieben hat. Ursprünglich dem hervorragenden Virtuosenensemble zugedacht, das ihm in Köthen anvertraut war, stammten vielleicht einige dieser Stücke in etwas anderer Form aus der vorherigen Weimarer Zeit (um 1716, vielleicht sogar 1713), wo sie vor allem als Sinfonien für Kantaten verwendet worden waren: Das erkennt man zum Beispiel am ersten Konzert, von dem ein Teil als Einleitung für die 1716 für den Hof zu Weißenfels geschriebene Jagdkantate gedient haben könnte. Beim derzeitigen Stand der Forschungen vermutet man, dass die sechs Konzerte in der uns bekannten Form im Laufe der drei Jahre von 1718 bis 1720 in der folgenden Reihenfolge entstanden sein müssen: 6, 1, 3, 2, 4 und 5.

Bilden sie denn auch einen Zyklus, so wie Bach sie zusammengestellt hat? Bisher wurde kein überzeugender Hinweis für eine begründete Absicht seitens des Komponisten gefunden – es gibt keine Gemeinsamkeiten hinsichtlich des Aufbaus oder inneren Zusammenhangs. Man neigt eher zu der Annahme, dass im Gegensatz zu den Gewohnheiten der damaligen Zeit, wonach jede Sammlung sich auf eine gedankliche Einheit berief, der Musiker eher die Vielfalt gesucht hat, indem er eine Art „Kunst des Konzerts“ präsentiert hat – ähnlich wie später für andere musikalische Formen (doch mit welch anderen gedanklichen Absichten!). Spürt man nicht unterschwellig etwas von dieser didaktischen Absicht, die man bei Bach so oft verknüpft sieht mit der „Erbauung der Amateure?“ So wie zu derselben Zeit das Orgelbüchlein „den Nächsten lehren“ wollte, indem ihm alle Arten, den Choral zu handhaben, vorgeführt wurden, ist dieses vielleicht eine wunderbar vielfältige und originelle Vorführung der verschiedenen Arten, das Konzert zu handhaben.

Von Werk zu Werk ändern sich die Besetzung und die Anzahl der Sätze, aber auch vor allem der Stil und die formalen Strukturen. Concerto grosso oder Solokonzert, italienische oder französische Ästhetik, kontrapunktisches Meisterwerk oder Feuerwerk an Virtuosität? Keines der sechs Konzerte kann sich auf ein schon vorhandenes Vorbild berufen, und der Musiker schafft eine glänzende Synthese aus den Facetten seines Genies und den Geschmacksrichtungen Europas, indem er einen großen Bogen von der alten Art des mehrchörigen Konzerts bis zum späteren Konzert für Klavier und Orchester spannt. Wollte man indessen unbedingt die Brandenburgischen Konzerte mit anderen berühmten Stücken vergleichen, dann würde man statt an italienische Konzerte eher an die zeitgleichen Concerts royaux Couperins denken (1722), die auch wirkliche Kammermusik zur Unterhaltung im kleinen Kreis ist. Laden uns dazu nicht die Widmung auf französisch und der französische Suitenstil des ersten Konzerts ein?

Aber vielleicht könnte in Zukunft eine neue analytische Methode diese sechs Konzerte in einem anderen Licht erscheinen lassen. Man weiß nämlich heutzutage, in welchem Maße sich alle Musiker der Barockzeit und vor allem am Ende des 17. und Beginn des 18. Jahrhunderts mit Rhetorik befassten (findet man nicht einen Hinweis auf Bach in einer zeitgenössischen Übersetzung von Quintilians „Kunst der Rede“?). Die Makrostruktur eines Werkes, die Artikulierung seiner musikalischen Sprache, ein ganzes Zusammenspiel von Anspielungen und Symbolik hinsichtlich Tonalität, Harmonik und vor allem Instrumentierung beruhten auf einem von allen gebilligten und bekannten Kodex, und das auch bis in rein instrumentale Werke: Jede Musik wird damals wie eine Rede ausgedrückt, als Ausdrucksmittel für die Bewegungen der Seele. Somit hat sich der modernen Musikologie ein neuer Forschungsbereich eröffnet, der Hand in Hand geht mit der Erneuerung der Interpretation. Doch die Tatsache, dass manche Sätze der sechs Konzerte Bestandteil einer Klangpredigt oder der Dramaturgie dieser oder jener Kantate sein könnten, manchmal sogar verziert oder sogar „offenbart“ durch gesungene Worte (wie im 3. Satz des Konzerts Nr. 1, der 1726 den Eingangschor der Kantate BWV 207 bildet), kann nur erneut die Frage aufwerfen: Wäre ein Entziffern ihrer musikalischen Sprache möglich im Licht der Gesetze der Rhetorik? Man kann sich zu Recht fragen, ob das Spiel von Emblemen und Allegorien, das damals im Genetze der Brandenburgischen Konzerte offenbar wurde, nicht zur Entdeckung eines einigenden „Programms“ führen könnte, eine selbstverständliche Ansprache an den fürstlichen Widmungsträger, wie ein für uns heute unsichtbarer Leitfaden einer Rede, wodurch ihre Wahl und Anordnung gerechtfertigt wären…

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