J.S BACH L’Art de la Fuga

Hespèrion XXI, Jordi Savall

21,99


Ref: AVSA9818

  • Jordi Savall
  • Hespèrion XXI

 


Auch mehr als zwei Jahrhunderte nach seiner Entstehung bleibt das letzte Werk Johann Sebastian Bachs, das als Die Kunst der Fuge bekannt ist, in mancher Beziehung rätselhaft. Nachdem das Werk für seine Entstehungszeit zu modern war, die Romantiker ihm mit Unverständnis begegneten und einige Musikwissenschaftler des frühen zwanzigsten Jahrhunderts es ungerechtfertigterweise als rein theoretisches Werk ansahen, wird es heute endlich als ein Höhepunkt des musikalischen Schaffens aller Zeiten anerkannt. Damit sind die Polemiken allerdings nicht beendet, und einige Probleme im Zusammenhang mit der Interpretation bleiben ungelöst: die Wahl der Instrumente oder die Instrumentation generell, die Reihenfolge der Kontrapunkte, das Problem der unvollendeten Fuge und natürlich die Fragen der Artikulation, des Tempos, der Dynamik, der Verzierungen usw.

Aus historischer Sicht kommen zwei Möglichkeiten in Betracht: die Verwendung eines Tasteninstruments, das für die Kontrapunkte 19a und b (welche die Kontrapunkte 13a und b ersetzen) durch ein zweites ergänzt wird, oder ein den Voraussetzungen der Entstehungszeit entsprechendes Instrumentalensemble, mit dem alle Stimmen in ihrer originalen Fassung wiedergegeben werden können. Es ist anzunehmen, dass Bach Werke wie François Roberdays Fugues et Caprices a quatre parties (1666) kannte, denn Forkel, sein erster Biograph, berichtet, dass Bach vor der Niederschrift der Kunst der Fuge eingehend frühere Werke französischer Organisten studiert habe, wie es zu jener Zeit üblich war. Dem Vorwort der erwähnten Sammlung Roberdays können wir zwei wichtige Hinweise entnehmen: Der erste betrifft den Umstand, dass das Vorhandensein einer vierstimmigen Partitur die Aufführung auf der Orgel oder dem Cembalo nicht ausschließt (es war zu jener Zeit üblich, kontrapunktische Werke für diese Instrumente in Partitur auszuschreiben, “weil dadurch die Stimmen, wiewohl alle zusammen aufgeschrieben, nichtsdestoweniger voneinander unterscheidbar sind und damit die Untersuchung jeder einzelnen Stimme, aber auch ihrer Beziehung untereinander, sehr erleichtert wird”; der zweite Hinweis nennt als weiteren Vorteil dieser Aufzeichnungsweise, “dass bei der Aufführung der Stücke mit Gamben oder ähnlichen Instrumenten jeder seine Stimme getrennt von den anderen vorfindet”.

Auch wenn Organisten und Cembalisten wiederholt den Beweis geliefert haben, dass es möglich und absolut angemessen ist, Die Kunst der Fuge auf diesen Instrumenten zu spielen, gibt es doch – so weit uns bekannt ist – noch keinen Versuch, das Werk in einer Instrumentierung aufzuführen, die auf einem Gambenensemble und einem Ensemble historischer Blasinstrumente beruht. Es scheint uns deshalb wichtig, dieses Meisterwerk durch den Klang eines Ensembles wieder zu entdecken, für dessen Besetzung im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert das umfangreichste Repertoire kontrapunktischer Kammermusik geschrieben wurde (mit Werken von W. Byrd, J. Dowland, O. Gibbons, H. Purcell, S. Scheidt, E. du Caurroy, E. Moulinié, F. Roberday u.a.). Allein das Gambenensemble erlaubt eine dem Originaltext getreue Aufführung, und es bietet gleichzeitig ein höchst angemessenes Klangbild, da die Transparenz und Klarheit der Artikulation dieser Instrumente ein ausgeglichenes Durchhören der verschiedenen Stimmen ermöglicht, ohne dass eine Partie die andere überdecken würde. Für einige Fugen haben wir ein vierstimmiges Ensemble historischer Blasinstrumente hinzugefügt, das aus Zink, Oboe da caccia, Posaune und Fagott besteht.

Das Programm ist in seiner Form einem Doppelspiegel vergleichbar, der nicht nur die Entwicklung und den Zusammenhang der verschieden Stücke wiedergibt, sondern auch deren Mannigfaltigkeit. Die Instrumentierung wird einerseits durch formale Kriterien bestimmt (Hervorhebung kontrapunktischer Strukturen wie beispielsweise die Imitation der Stimmen untereinander), andererseits durch den Charakter und die Möglichkeiten der Instrumente. Auf diese Weise wird der individuelle Charakter jeder Fuge hervorgehoben und ferner eine Mannigfaltigkeit erzeugt, die mit dem Wechsel der Klangfarbe und der dynamischen Intensität das Erfassen einer a priori schwierig zu hörenden Musik erleichtert. Deren reicher emotionaler Gehalt gestattet es außerdem gerade jenen Hörern, die mit den Regeln des Kontrapunkts nicht vertraut sind, einen Zugang zu diesem Werk zu finden.

JORDI SAVALL
Basel, 1986/2001

Übersetzung Anne Steeb/Bernd Müller

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