HENRY PURCELL (1659-1695) The Fairy Queen & The Prophetess

Jordi Savall, Le Concert des Nations

Alia Vox Heritage

15,99


Reference: AVSA9866

  • Le Concert des Nations
  • Jordi Savall

 


Die Engländer sind Nachzügler in Opernangelegenheiten. Nach der Wiedereinführung der Monarchie 1660 hätte man eine allgemeine Begeisterung für diese neue musikalische Gattung vermuten können – schließlich war das Fremde in England wieder in Mode. Nach dem Vorbild der Vingt-Quatre Violons du Roy Ludwigs XIV. gründete der englische König Karl II. sein eigenes Streicherorchester, während in Frankreich selbst der Siegeszug der italienischen Oper nach ihrer erfolgreichen Einführung seinen Anfang nahm. In England aber scheiterten die ersten Versuche, sie unters Volk zu bringen – sei es in englischer oder italienischer Sprache. Dagegen setzte sich der Brauch durch, musikalische Zwischenspiele in Theaterstücke und Masken einzufügen. Diese Stücke wurden entweder als musikalische Einführung (Ouvertüre), als einfacher Kommentar (in Gesangsstücken) oder auch als Begleitung zu Tänzen verwendet. Meistens hatten sie kaum mit der dramatischen Handlung zu tun. Auf halbem Wege zwischen dieser Sorte Zwischenspiele und der Oper befand sich die so genannte „Halboper“, ein einheimisches, typisch englisches Genre, das vielmehr aus Misstrauen der Oper gegenüber als aus reinen finanziellen Betrachtungen entstand – die Kosten einer Bühnenaufführung von The Fairy Queen lassen sich in der Tat mit denjenigen einer kontinentalen Oper vergleichen.

Henry Purcell komponierte Bühnenmusik für etwa fünfzig Werke, oft in Zusammenarbeit mit anderen Komponisten. Dido and Aeneas ist Purcells einzige eigentliche Oper, da die Handlung und die Musik zusammen geschrieben sind – der Komponist beweist damit, daß er nichts gegen das Prinzip Oper hatte. Im übrigen betrifft der Großteil seiner Bühnenproduktion die fünf Halbopern, die er zwischen 1690 und 1695, seinem Todesjahr, komponierte. Von diesen wurde nur eine, King Arthur, nach einem Originaltext von John Dryden auf der Grundlage von Purcells Musik geschrieben. Die Anderen sind bloße Bearbeitungen bereits vorhandener Werke. Andererseits unterscheiden sich die Halbopern von Purcells kleineren Bühnenwerken durch die bedeutendere Rolle der Musik in der Handlung (vor allem in The Fairy Queen) und ein größeres Augenmerk auf Tanzmusik. Die vorliegende Aufnahme bietet Instrumentalmusik aus der ersten dieser Halbopern, The Prophetess (1690), auch unter dem Titel Dioclesian bekannt, sowie der wahrscheinlich beeindruckendsten, The Fairy Queen (1692) nach William Shakespeares Sommernachtstraum. In den beiden Werken wird jeder (gesprochene) Akt instrumental eingeführt (einige solche Einführungen werden „Act tunes“ genannt), und das gesamte Werk beginnt mit einer großen, Suite-ähnlichen Abfolge von Stücken, die mit einer „Ouverture à la française“ ausgestattet ist. Die Einleitung zu The Fairy Queen ist besonders lang. Dazwischen sind vokale Stücke sowie instrumentale Sätze zu hören, die sowohl Szenen als auch Figuren einführen und auch einen Tanzanlass bieten – dies lässt sich eventuell aus der Vorliebe für Entr’actes (Zwischenspiele) schließen, die damals für die Bühnenmusik in Frankreich gepflegt wurde. Trotz Purcells oft zitierter Bemerkung, wonach er seine Landsleute ermunterte, den italienischen Geschmack „der Leichtsinnigkeit und Flüchtigkeit unserer Nachbarn“ vorzuziehen, wäre die hier zu hörende Musik (selbst zu diesem späten Zeitpunkt) ohne Lullys Vorbild undenkbar.

Die Halbopern unterscheiden sich auch von den schlichteren Bühnenstücken durch ihr üppigeres Orchester. Während letztere nur Streicher verwenden, sind die Halbopern nur mit den Bühnenoden und Willkommensliedern des Komponisten vergleichbar –obwohl im Gegensatz zu den meisten Oden (in dieser Hinsicht auch zu Lullys Opern) die Halbopern an sich nicht zur Unterhaltung am Hof bestimmt waren. Trompeten, Oboen, Flöten, Pauken – Purcells Gespür für das Dramatische, sein angeborener Gelegenheitssinn und struktureller Einfallsreichtum wurden von der größeren Bandbreite angespornt, die diese erweiterten Ressourcen boten. Der Anfang des vierten Akts in The Fairy Queen, der mit einem beeindruckenden Paukensolo öffnet, bildet diesbezüglich einen Höhepunkt; ein weiterer, subtilerer ist der Einsatz der Tenoroboe in The Prophetess mit ihrem einzigartigen Klang, der sonst nirgends in Purcells Bühnenmusik zu finden ist. Sein vollkommenes Können kommt vor allem in der Virtuosität der inneren Stimmen zum Tragen, so in den rasanten Tonleitern im Furientanz in The Prophetess, an denen sich alle Stimmen in atemberaubender Abwechslung beteiligen.

Doch abgesehen von diesen technischen Betrachtungen bilden die mannigfaltige Besetzung, die unerschöpflichen Anflüge von Fantasie und die wendigen Gefühlszüge letzten Endes Purcells Antwort auf den wiederholten Eingriff des Übernatürlichen in seine Libretti. Götter, Feen, gute und böse Geister greifen in allen Halbopern (und somit auch in Dido) in die menschlichen Geschicke ein. Dieses Thema findet in Dido seinen tragischen Höhepunkt, jedoch wird dessen magische und komische Seite in The Fairy Queen weiter ausgeschöpft. Die Echo-Sequenzen in The Fairy Queen setzen dem üblichen barocken Muster eine zauberhafte Struktur auf, während die Erscheinung von Feen, Furien und grünen Wichteln oft scharfe, freimütige Bewegungen hervorruft. Die Kehrseite des Zaubers ist die Exotik, von der The Fairy Queen mehrere Beispiele liefert. Doch diese Exotik dürfte über Kostüme und Choreographie Purcells Zeitgenossen beeindruckt haben, hat doch der sogenannte Affentanz kaum etwas Affiges, und die Musik des chinesischen Balletts dürfte dem durchschnittlichen Londoner von damals kaum vertraut gewesen sein. Die Auffassung des Schauspiels entspricht hier einer dramatischen Belustigung anstatt einer richtigen Aufführung – die Musik braucht sich nicht um die Erzählung, psychologische Charakterisierung oder Wahrscheinlichkeit zu kümmern. Hier unterscheiden sich die Halbopern von den eigentlichen Opern, wobei Dido and Aeneas eine Vorreiterrolle spielt.

Kurz nach Purcells Tod begann der unaufhaltsame Niedergang der Halboper, die in der Gunst des Publikums von der lange angekündigten italienischen Oper abgelöst wurde. Mit Händels 1711 uraufgeführter Rinaldo wurde der Übergang abgeschlossen. Wie hätte ein fünfzigjähriger Purcell auf den Aufstieg des jungen Deutschen und seiner durch und durch italienischen Mode reagiert? Zu welchen Höhepunkten wäre er vielleicht durch eine solche künstlerische (und kommerzielle) Rivalität getrieben worden? So wie Mozarts Tod kurz vor Beethovens Durchbruch hinterlässt Purcells vorzeitiges Ableben einen starken Vorgeschmack des letztlich nicht Eingetretenen.

FABRICE FITCH
Übersetzung: Scripto/Marie Costa

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