ESPRIT DES BALKANS
Balkan Spirit
Hespèrion XXI, Jordi Savall
17,99€
Bez-.Nr..: AVSA9898
- HESPÈRION XXI
- Jordi Savall
Trotz der ihre Geschichte prägenden gewaltsamen Übergriffe und ihrer sprachlichen und politischen Zersplitterung teilen die Balkanvölker noch viele gemeinsame kulturelle Eigenschaften und das Erbe ihrer historischen Vergangenheit. In unserer ersten Einspielung wollten wir zusammen mit den aus unterschiedlichen Kulturen, Religionen und Regionen stammenden Gastmusikern vor allem diese Gemeinsamkeiten zur Geltung bringen. In Zusammenarbeit mit ihnen haben wir Musik unterschiedlichster Herkunft ergründet, ausgewählt, vorbereitet und im Studio aufgenommen, mit dem Ziel, eine ansprechende musikalische Blütenlese mit alten, traditionellen und populären Melodien aus diesem faszinierenden und immer noch geheimnisvollen Teil Osteuropas zusammenzustellen. Wir sind überzeugt davon, dass durch den Gefühlsreichtum, die Schönheit und Lebendigkeit der präsentierten Musik greifbarer wird, was wir gern als musikalische Darstellung des wahrhaften „Geists des Balkans“ definieren.
Der Gedanke, ein groβes musikalisches und historisches Projekt über die Balkanvölker und die in der Diaspora lebenden Roma und Sepharden in Angriff zu nehmen, entstand Ende 2011 bei der Vorbereitung des Konzerts „Hommage für Sarajevo“, das am 9. Juli 2012 in Barcelona im Rahmen des Festival Grec aufgeführt wurde. Vor zwanzig Jahren erlitt die Stadt Sarajevo bei dem aus dem Zerfall der jugoslawischen Republik hervorgegangenen tragischen Kriegsgeschehen die Schrecken der Belagerung durch serbische Truppen. Mehr als 12 000 Menschen wurden getötet, mehr als 50 000 schwer verwundet. Europa allen voran, aber auch der Rest der Welt reagierten mit absolutem Schweigen und trafen die höchst fragwürdige Entscheidung, nicht in den Konflikt einzugreifen, was die vierjährige Fortdauer der furchtbaren Einkesselung der Hauptstadt Bosniens (1992-1996) zur Folge hatte. Die internationale Staatengemeinschaft intervenierte mit Entschiedenheit erst 1995, doch bis dahin hatten bereits 20 Millionen Kilogramm Projektile und Munition die architektonische und menschliche Geografie der Stadt für immer entstellt. Von alters her war sie ein kultureller Kreuzungspunkt der Balkanhalbinsel, wo die Tradition der Slaven mit ihrem orthodoxen oder katholischen Glauben sich in vollkommener Harmonie mit den neu hinzugekommenen Kulturen vermischte. Dazu gehörte der Islam der Türken des Osmanischen Reichs, das den Balkan mehr als vierhundert Jahre lang beherrschte, und das Judentum der Sepharden, die nach ihrer Vertreibung von der iberischen Halbinsel 1492 hier Zuflucht fanden. „Der letzte Balkankrieg“ – so bemerkt Paul Garde – „war unvermittelt in einem seit einem halben Jahrhundert in tiefem Frieden lebenden Europa ausgebrochen, das die Härten der Geschichte schon vergessen hatte. Daher das Unverständnis und Misstrauen gegen diese Region und die Wiederkehr alter Stereotypen, die ihr unterstellen, seit jeher dem Verbrechen und dem Unglück verschrieben zu sein.“ Auch wenn die Region einerseits als „Pulverfass Europas“ gilt, darf man nicht vergessen, dass die Halbinsel ebenfalls, wie Pedrag Matvejević unterstreicht, „die Wiege der europäischen Zivilisation“ war.
JORDI SAVALL
Bellaterra, Frühjahr 2013
Übersetzung: Claudia Kalász
+ Informationen im CD-Booklet
Bibliographie der Schriften (Auswahl) und Sekundärliteratur:
–Timothy Rice. Music in Bulgaria : Experiencing Music, Expressing Culture. New York : Oxford University Press 2004.
–Jean-Arnault Dérens et Laurent Geslin. Comprendre les Balkans. Histoire, sociétés, perspectives. Paris: Éditions Non Lieu 2010.
–Georges Castellan. Histoire des Balkans : XIVe-XXe siècle. Paris : Fayard 1991.
–Paul Garde. Les Balkans – Héritages et évolutions. Paris, Ed. Flammarion, Champs actuel, 2010.
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