ÉSPRIT D’ARMÉNIE

Hespèrion XXI, Jordi Savall

15,99


Reference: AVSA9892

  • Georgi Minassyan
  • Haïg Sarikouyoumdjian
  • Gaguik Mouradian
  • Armen Badalyan
  • HESPÈRION XXI
  • Jordi Savall

Armenien, eine der ältesten christlichen Zivilisationen des Orients, hat auf wunderbare Weise eine unruhige und besonders tragische Geschichte überlebt. Nach seiner Gründung befand sich das Land politisch und geografisch von anderen Nationen umgeben, die mehrheitlich orientalischen Religionen oder dem Islam anhingen. Seine Geschichte war auβerordentlich leidvoll, gezeichnet von Kriegen und Massakern, die mehr als die Hälfte der Bevölkerung vernichteten, viele Armenier ins Exil verbannte und den Verlust groβer Gebiete zur Folge hatte.


Armenien, eine der ältesten christlichen Zivilisationen des Orients, hat auf wunderbare Weise eine unruhige und besonders tragische Geschichte überlebt. Nach seiner Gründung befand sich das Land politisch und geografisch von anderen Nationen umgeben, die mehrheitlich orientalischen Religionen oder dem Islam anhingen. Seine Geschichte war auβerordentlich leidvoll, gezeichnet von Kriegen und Massakern, die mehr als die Hälfte der Bevölkerung vernichteten, viele Armenier ins Exil verbannte und den Verlust groβer Gebiete zur Folge hatte. Nichtsdestotrotz hat Armenien die wesentlichen Züge seiner nationalen Eigenheiten all die Jahrhunderte hindurch bewahren können, angefangen bei der 405 vom Mönch Mesrob Maschdoz eingeführten Schrift. Ebenso stellt das heute über die aktuellen Landesgrenzen hinaus verstreute architektonische Erbe einen Beweis für seine kulturelle Bedeutung dar. Aber auch wenn das sichtbare Erbe am meisten ins Auge fällt, darf man nicht das reiche unsichtbare Erbe vergessen, das Armenien in seiner Musik besitzt: ein umfassendes und vielfältiges Repertoire, das leider (mit Ausnahme der Kompositionen für den Duduk) so gut wie unbekannt ist.

Für alle entwickelten Kulturen gilt, dass die Musik – mit den für sie repräsentativen Instrumenten, der Art sie zu spielen und der Art zu singen – am treuesten die Seele und die Geschichte eines Volkes widerspiegelt. Unter allen in den alten Musiktraditionen benutzten Instrumenten hat Armenien eine ganz besondere Vorliebe für ein einzigartiges Instrument entwickelt, den Duduk. Man kann so weit gehen zu sagen, dass dieses Instrument das Land auf fast absolute Weise definiert. Schon die ersten Klänge der Rohrblattflöte – normalerweise im Duo gespielt – transportieren den Zuhörer durch ihre Ähnlichkeit mit der menschlichen Stimme und ihre weichen Tonschwingungen in ein poetisches Universum ohnegleichen und ziehen ihn in eine intime Dimension von groβer Tiefe. So wirkt die Musik als sinnlicher und zugleich geistiger Trost, der direkt in unsere Seele dringt, ihr wohltut und in der Lage ist, alle Wunden und jeden Kummer zu heilen.

Montserrat Figueras empfand eine tiefe Sympathie und groβe Faszination für die armenischen Instrumente, besonders für den Duduk und die Kamancha, so wie sie ebenfalls die groβen musikalischen Fähigkeiten der mit uns befreundeten armenischen Musiker hoch schätzte. Nach ihrem Tod war für mich selbst das Anhören der wunderbaren „Klagen“ für zwei Duduks und Kamancha unendlich trostreich, weshalb ich die Musiker bat, bei den Feierlichkeiten zum Abschied von unserer geliebten Montserrat zu spielen. Ihre Instrumente erfüllten die Räume mit Klängen aus einer anderen Welt von erschütternder Schönheit und Geistigkeit. Nach diesen so tief empfundenen Augenblicken und dem Erlebnis des echten Trostes, den mir die Musik gespendet hat, kam mir der Gedanke, das einzigartige Projekt einer Aufnahme armenischer Musik dem Gedächtnis von Montserrat Figueras zu widmen und so zugleich meine persönliche Hommage einem Volk zu erweisen, das in seiner Geschichte unendlich viel Leid erfahren hat (ein Leid das noch immer nicht volle Anerkennung gefunden hat) und trotz seines Schmerzes eine Musik voller Liebe hervorgebracht hat, die Frieden und Harmonie verströmt. Geehrt werden sollen aber auch die Musiker, die mit voller Hingabe ihr Leben der Erhaltung des lebendigen Gedächtnisses ihrer alten Kultur widmen.

Es war eine unwiederbringliche Gelegenheit, als Gaguik Mouradian, teurer Freund und Interpret der Kamancha, mir – schon im Jahr 2004 – verschiedene Sammlungen armenischer Musik anbot, darunter der 1982 von dem Musikologen Nigoghos Tamizian in Jerewan veröffentlichte sagenhafte „Thesaurus“ armenischer Musik. Darin habe ich die schönsten Stücke des hier präsentierten Repertoires gefunden. Sie werden ergänzt durch die von unseren armenischen Musikern vorgeschlagenen Kompositionen für Kamancha und andere Beiträge für zwei Duduks. In Zusammenarbeit mit einem weiteren auβergewöhnlichen armenischen Musiker und hoch geschätzten Freund, dem Duduk-Spieler Haïg Sarikouyoumdjian, habe ich mehrere Monate Tag für Tag mit dem Studium und der Entzifferung der Geheimnisse der uralten und überaus schönen Melodien verbracht. Wir haben dazu alte Aufnahmen gehört, um den darin verborgenen Schlüssel zum Verständnis des Stils und Charakters der einzelnen Musikstücke zu entdecken. Während dieser ganzen letzten Monate gab es nicht einen Abend, an dessen Ende ich nicht einige wunderbare Stunden mit dem Studium und dem Spiel dieser bestrickenden Melodien zugebracht hätte.

Schlieβlich, nachdem die Termine für die Arbeit im Ensemble gefunden waren, haben wir uns Ende März / Anfang April im romanischen Kirchenschiff des Kollegiatsstiftes Sant Vicenç in Cardona (Barcelona) zur Aufnahme der ausgewählten Stücke getroffen, um unsere persönliche und gemeinsame Hommage an den fesselnden und elegischen „Geist Armeniens“ zu Ende zu führen. Im Anschluss daran und mithilfe von Lise Nazarian, ebenfalls einer teuren armenischen Freundin, haben wir uns auf die Suche nach dem Material für die zur Veröffentlichung im Booklet der CD gedachten, ergänzenden Beiträge gemacht. Bücher über die Kunst und die Geschichte Armeniens fanden sich zahlreich dank Armen Samuelian und Alice Aslanian, die Erben und Betreiber der einzigartigen Librairie Orientale in der Rue Monsieur Le Prince in Paris. Dem Experten auf dem Gebiet, Jean- Pierre Mahé, ist die Darstellung eines Überblicks über die wesentlichen Daten der Kunst und Geschichte Armeniens zu danken. Manuel Forcano trägt ergänzend mit einem Text über das Gedächtnis des armenischen Genozids und mit einer Chronologie der Geschichte des Landes zum Projekt bei. Unser bescheidener Wunsch ist es, mit dem durch die Musikstücke dieser Einspielung vermittelten Gefühl ein wenig dafür zu tun, dass die Geschichte Armeniens lebendig bleibt.

Ohne Gefühl gibt es keine Erinnerung, ohne Erinnerung gibt es keine Gerechtigkeit, ohne Gerechtigkeit gibt es keine Zivilisation und ohne Zivilisation hat die Menschheit keine Zukunft.

JORDI SAVALL
Versailles, 5. Juli 2012

Übersetzung: Claudia Kalász

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