COUPERIN – Apothéoses

Jordi Savall

Alia Vox Heritage

15,99


Zu leicht sieht man in Couperin den zärtlichen und anmutigen Musiker, ein melancholisches Nichts, dessen Palette zarter Töne dieselbe ist wie für Watteaus Bilder. Es gibt einen zweiten Couperin, der Humor besitzt und der behände agiert. Und noch einen dritten, nämlich den in alle ästhetischen Kämpfe seiner Zeit verwickelten Musiker in der vordersten Reihe. Es waren große Kämpfe wie jener, der alle Italienliebhaber vereinte und der ihn mit zweiundzwanzig oder vierundzwanzig Jahren die ersten in Frankreich entstandenen Sonaten schreiben ließ. Oder kleine Scharmützel wie das zwischen den eingeschworenen Meistern der Bruderschaft der fahrenden Spielleute und den Musikern des Königs. In allen diesen Fällen ergreift Couperin mit Elan und Schwung Partei, setzt aber auch seine Positionen mit Können und jenem für ihn typischen leichten Humor in Musik um.


ALIA VOX AVSA9944
Heritage
CD : 47,02
FRANÇOIS COUPERIN
Les Apothéoses

CD

LE PARNASSE OU L’APOTHÉOSE DE CORELLI
Grande Sonade, en Trio

  • 1.Corelli au piéd du Parnasse
  • 2.Corelli, charmé de la bonne réception
  • 3.Corelli buvant à la Source D’Hypocrêne
  • 4.Enthouziasme de Corelli
  • 5.Corelli, aprés son Enthouziasme
  • 6.Les Muses reveillent Corelli
  • 5.Remerciment de Corelli (gayement)

CONCERT INSTRUMENTAL SOUS LE TITRE D’APOTHEOSE
Composé à la mémoire immortelle
de l’incomparable Monsieur de Lully

  • 1.Lully aux Champs Elysés
  • 2.Air pour les mêmes (gracieusement)
  • 3.Vol de Mercure aux Champs Elysés
  • 4.Descente d’Apollon
  • 5.Rumeur souteraine
  • 6.Plaintes des mêmes
  • 7.Enlévement de Lulli au Parnasse
  • 8.Acueil entre doux et agard
  • 9.Remerciment de Lulli à Apollon
  • 10.Apollon persuade Lulli et Corelli
  • 11.Air léger pour deux violons
  • 12.Corelli, aprés son Enthouziasme
  • 13.Second air. Corelli
  • 14.La Paix du Parnasse (gayement)

 

 Monica Huggett, Chiara Banchini violons
Ton Koopman
clavecin
Hopkinson Smith
théorbe · Bernard Hervé récitant
Jordi Savall
basse de viole et direction

Enregistrement réalisé par Radio France du 19 au 22 mars 1985 en l’église luthérienne Saint-Jean à Paris. Prise de son : Agnès Boissonnode – Montage : Patent Bernard
Direction artistique : Michel Bernard
Mastering SACD : Manuel Mohino.

 

François Couperin
Les Apothéoses

Zu leicht sieht man in Couperin den zärtlichen und anmutigen Musiker, ein melancholisches Nichts, dessen Palette zarter Töne dieselbe ist wie für Watteaus Bilder. Es gibt einen zweiten Couperin, der Humor besitzt und der behände agiert. Und noch einen dritten, nämlich den in alle ästhetischen Kämpfe seiner Zeit verwickelten Musiker in der vordersten Reihe. Es waren große Kämpfe wie jener, der alle Italienliebhaber vereinte und der ihn mit zweiundzwanzig oder vierundzwanzig Jahren die ersten in Frankreich entstandenen Sonaten schreiben ließ. Oder kleine Scharmützel wie das zwischen den eingeschworenen Meistern der Bruderschaft der fahrenden Spielleute und den Musikern des Königs. In allen diesen Fällen ergreift Couperin mit Elan und Schwung Partei, setzt aber auch seine Positionen mit Können und jenem für ihn typischen leichten Humor in Musik um.

Der Kampf der Musen, der italienischen und der französischen Muse, hatte das ganze 17. Jahrhundert bewegt, dessen Geschichte ein riesiges Kampfgebiet ist. Italienische Truppen unter Führung von Cavalli oder Rossi marschieren unter dem Banner Mazarins auf, werden von den Liebhabern der „Ballets de Cour“ zurückgeschlagen, unter taktischen Rückzügen der Komponisten von „airs de cour” und Gegenangriffen der virtuosi, bis zum endgültigen Sieg des Überläufers Lulli, einem Verräter an den Seinen, der das französische Banner ergreifen sollte, nachdem er das italienische „i“ in seinem Namen in ein „y“ verwandelt hatte. Wir sollten diesen Kampf um die Ästhetik nicht leichtnehmen: Er war eine zu ernste Angelegenheit, und das Schicksal der französischen Kunst an sich stand dabei oft auf dem Spiel. Als Couperin geboren wurde, konnten dank eines erzwungenen Waffenstillstands die Invasoren für immer hinter die Alpen zurückgedrängt werden. Lully hatte seine bedingungslosen, fanatischen Anhänger. Aber Italien bewaffnete heimlich die Seinen, und in den ersten Jahren des 18.Jahrhunderts erhoben wieder die Nationalen und Liebhaber der Schönheiten Italiens die Waffen.

Vor diesem Hintergrund steht das Werk Francois Couperins. Er erliegt zunächst der Anziehungskraft der italienischen Musik. In ihrem Namen engagiert er sich für die Musik mit der Begeisterung des jungen Mannes. Als unbändiger Verehrer Corellis lässt er seine erste Sonate, die auch die erste in Frankreich komponierte ist, unter einem italienischen Pseudonym aufführen. In den Augen seiner Zeitgenossen ist er, wie Lecerf de la Viéville verächtlich sagt, ein fanatischer „Lullist“, der „leidenschaftliche Diener des Italieners“. Couperin sollte niemals diesen Zug an sich leugnen; doch mit zunehmendem Alter liegt seine Größe darin, dass er diese Synthese versucht, die er selbst „les goûts réunis“ nennt. Keine unschlüssige Neutralität, sondern ein zweiseitiges Engagement, mit dem er die den beiden Musikströmungen eigenen Qualitäten integrieren möchte. Dem von Italien übernommenen größeren Reichtum und der melodischen Üppigkeit fügt er mehr Sinn für das Maßvolle, ein feineres Gespür für die Zerbrechlichkeit der Formen und eine Vorliebe für den Tanz hinzu, die das musikalische Empfinden in Frankreich prägt. Aber es genügt nicht, dass er diese Synthese schafft. Couperin gehört dem Lande Descartes an mit seiner Deutlichkeit und dem klaren Bewusstsein für das, was er tut und für das, was er tun will: Deshalb ist sein Werk „engagiert“. Er tut, was er will, aber er sagt, warum. Es reicht auch nicht, dass er es sagt, sondern er proklamiert es, aber mit einem Lächeln, einem sich ganz leicht distanzierenden Augenzwinkern.

L’Apothéose de Corelli (1724) und L’Apothéose de Lully (1725) und sind zwei Absichtserklärungen, zwei Glaubensbekenntnisse, zwei Botschaften der Dankbarkeit – und zwei zugleich feste und doppelsinnige Aussagen von Couperin selbst über zwei große Vorläufer, denen er die Ehre erweist. „Der italienische und der französische Geschmack haben (in Frankreich) seit langer Zeit die Republik der Musik gespalten; ich für meinen Teil habe immer die Dinge geschätzt, die es wert waren, ohne Ansehen von Autoren oder Völkern; und die ersten italienischen Sonaten, die vor über dreißig Jahren in Frankreich erschienen und mich ermutigt haben, selbst welche zu komponieren, haben weder meinem Geist noch den Werken des Monsieur Lully noch denen meiner Vorfahren geschadet, die immer eher bewundernswert als nachahmenswert sein werden. So segele ich immer noch mit der Berechtigung, die mir meine Neutralität verleiht, unter den glücklichen Vorzeichen, die mich bisher geleitet haben“.

 

LE PARNASSE OU L’APOTHÉOSE DE CORELLI gehört zu den Goûts réunis.

Es ist eine Sonate à l’Italienne, die längste und stärkste, die Couperin geschrieben hat. Es ist kein Pastiche, sondern ein ernsthaftes und feierliches, durchgehend schönes, harmonisches und großzügiges Werk. Eher in diesem Sinn als von der stilistischen Ähnlichkeit her ist es eine Hommage an Corelli. Jeder Satz hat seine Überschrift, doch handelt es sich weder um eine Inhaltsangabe noch um einen Kommentar. Es ist eine kleine Hinzufügung von Esprit über der „rein“ bleibenden Musik.

Corelli bittet am Fuße des Parnass die Musen, ihn bei sich aufzunehmen (gravement).

Ein kräftiger, melodischer Bass à la Corelli, eine lange Phrase in einem Zug, flüchtige, sich entziehende Harmonien, sinnliche und köstliche Zusammenkünfte.

Corelli ist entzückt über seinen guten Empfang im Parnass und zeigt seine Freude darüber. Er geht mit denen weiter, die ihn begleiten (gayement).

Ein schönes, ausführlich entwickeltes Fugato.

Corelli, wie er an der Quelle von Hippokrene trinkt, sein Trupp geht weiter (modérément).

Ein kristallklarer Satz, der einzige beschreibende; lang angehaltene Töne und milde Dissonanzen zur Schilderung der heiligen Quelle, die einst Pegasus mit einem Huftritt zum Sprudeln gebracht hatte.

Corellis Begeisterung, ausgelöst von den Wassern der Hippokrene (vivement).

Ein kleiner, beinahe konzertanter Satz, mit solchem Schwung und vibrierenden Saiten, dass man an Corellis Ruf erinnert wird, „wie ein Besessener“ zu spielen.

Nach seiner Begeisterung schläft Corelli ein, und sein Trupp spielt das folgende Schlaflied (très doux).

„Sommeil“, wie man ihn in allen italienischen Opern findet, aber auch in den Sinfonie da chiesa, von bewundernswerter harmonischer Raffinesse.

Die Musen wecken Corelli und setzen ihn neben Apollo (vivement).

Es ist eine äußerst fröhliche Tromba in Zweiunddreißigsteltriolen.

Corellis Dank (gayement).

Einer der schönsten fugierten Sätze Couperins über ein schönes, ausdrucksvolles Thema, schon eher Vivaldi als Corelli ähnlich.

 

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CONCERT INSTRUMENTAL SOUS LE TITRE D‘APOTHÉOSE COMPOSÉ A LA MÉMOIRE IMMORTELLE DE L’INCOMPARABLE MONSIEUR DE LULLY. (Instrumentalkonzert mit dem Titel Apothéose zum unsterblichen Gedächtnis des unvergleichlichen Monsieur de Lully).

Der Titel ist großspurig, emphatisch, aber man spürt doch bereits den Humor Couperins: Er scheint sich an die Verehrer des „Surintendant de la musique“ in ihrer eigenen hagiographischen Sprache zu wenden … Man muss den mit Ernst vermischten Humor in jedem Takt dieses neuen Werks sehen: Darin unterscheidet es sich zunächst von der Apothéose Corellis. Jene war eine Sonate mit Überschriften; dies ist eine echte Programmmusik, deren Sinn uns entgeht, wenn wir nicht ihre Absicht kennen.

Lully in den elysischen Gefilden mit den lyrischen Schatten musizierend (gravement).

Großes Opernritornell in einfacher Sprache (wie die Lullys). In den elysischen Gefilden ist er es offensichtlich, der dirigiert. Er hat es verstanden, auch dort unten der „Surintendant“ zu sein und sich das Monopol zu sichern.

Air, von denselben gespielt (gracieusement).

Es ist eine Art „Entrée de Ballet“ mit Tanzrhythmen.

Flug des Merkur zu den elysischen Gefilden, um anzukünden, dass Apollo dort herabsteigen wird (très viste).

Eine direkte Anspielung auf Opernszenen, wo den Göttern Boten vorausgesandt werden.

Herabkommen Apollos, der Lully seine Geige und seinen Platz auf dem Parnass anbietet (noblement).

Ein in der Oper gebräuchliches großes Orchesterstück zur Feier der Bedeutung des Ereignisses und zum Übertönen des Maschinenlärms …

Unterirdisches Stimmengewirr der Komponisten aus Lullys Zeit (viste).

Couperin fängt an, sich zu amüsieren. Die Neider Lullys, das sind die Italiener und die Italienisierenden, die er vernichtet hat und die auf Rache sinnen. Daher ist der Stil anders als zu Beginn, er kommt direkt aus dem Land jenseits der Alpen.

Klagen derselben: durch sehr weich spielende Violinen (dolemment).

Beklagen sich jene auf Französisch?

Aufstieg Lullys zum Parnass (très légèrement).

Ein kleines Stückchen im imitierenden Stil, einige Synkopen à l’italienne

Halb freundlicher, halb scheuer Empfang Lullys durch Corelli und die italienischen Musen (largo).

Über einem Generalbass in einem für Corelli typischen Satz.

Dank Lullys an Apollo (gracieusement).

Ein schönes, in Art und Weise ganz französisches Air, reich verziert.

Apollo überzeugt Lully und Corelli, dass die Vereinigung des französischen und des italienischen Geschmacks die Vollendung der Musik sein muss. Versuch in Form einer Ouvertüre.

Corelli bewunderte die Ouvertüre zu Armide derartig, dass er sie hatte einrahmen lassen. Deshalb erstaunt es keineswegs, dass Apollo-Couperin die Versöhnung der beiden rivalisierenden Stilarten durch eine leicht italianisierte Ouvertüre à la française begrüßt!

Leichtes Air für zwei Violinen, wobei Lully das Thema spielt und Corelli ihn begleitet. Im zweiten Air spielt Corelli das Thema, und Lully begleitet ihn.

Hier amüsiert sich Couperin ganz offen: ein kleines Duo als doppeltes Pastiche, wo jede der beiden Stilarten nacheinander auftaucht. Das ist das hübscheste „à la manière de…“ in der Musik.

Der Frieden des Parnass, der nach Ermahnung durch die französischen Musen unter der Bedingung geschlossen wird, dass man, wenn man dort ihre Sprache spreche, von nun an Sonade, Cantade sagen werde, wie man ja auch Ballade, Sérénade, etc. ausspricht. Sonade en Trio.

Das sind die „Goûts réunis“: Die französischen Musen spielen die erste Geige, die italienischen die zweite. Die Verschmelzung der Gattungen ist perfekt, die Synthese ideal.

Triumph Apollos … und Couperins!

PHILLIPE BEAUSSANT

Übersetzung: Dorothea Preiss

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