CLAUDIO MONTEVERDI Vespro della Beata Vergine, 1610

Jordi Savall

Alia Vox Heritage

21,99


Reference: AVSA9855

  • Jordi Savall
  • La Capella Reial
  • Coro del Centro Musica Antica di Padova

Nach der letzten Konzerttournee mit den VESPRO DELLA BEATA VERGINE von Claudio Monteverdi kamen wir in den ersten kalten und feuchten Tagen eines fast winterlichen Novembers in Mantua mit der Absicht an, das Werk in der selben Palastkirche von Santa Barbara einzuspielen, wo es zu Monteverdis Zeiten wahrscheinlich uraufgeführt wurde.Der Gedanke dieser Einspielung nahm einige Jahre zuvor Kontur, als die Vorbereitung, die Recherche, das Studium und die Erprobung rund um dieses Werk von Monteverdi im Rahmen der Interpretationsrecherche an der SCHOLA CANTORUM BASILIENSIS vorgenommen und später von mehreren Konzertreihen in der Schweiz, Frankreich, Spanien und Italien (Basel, Zürich, Colmar, Barcelona, León, Lissabon, Ambronay, usw.) gefolgt wurde.Ende 1988 bestand HESPÈRION XX (1974 von Montserrat Figueras, Hopkinson Smith, Lorenzo Alpert und mir selbst gegründet) aus einer Vielzahl junger, hoch talentierter Musiker (1), mit denen wir eine rigoröse Recherchierarbeit über die Interpretation und Wiederbelebung musikalischer Werke betrieben. Seit einigen Jahren wirkt auch eine großartige Gruppe von Solosängern verschiedener Herkunft wie z.B. Montserrat Figueras, Maria Cristina Kiehr, Guy de Mey, Gian Paolo Fagotto, Gerd Turk und Daniele Carnovich an dieser Tätigkeit mit, was schließlich zu dieser Einspielung führte. (Einige dieser Solisten und Musiker bildeten später den Kern von LA CAPELLA REIAL, aus der dann LA CAPELLA REIAL DE CATALUNYA hervor ging.) Gleichzeitig arbeiteten der CORO DEL CENTRO MUSICA ANTICA DI PADOVA unter dem Chorleiter Livio Picotti und die SCHOLA GRÉGORIENNE unter Josep Cabré auch im Rahmen dieses Projekts zusammen. Mit gemeinsamer Stimme und einer sehr „südländischen“ Auffassung begaben wir uns also auf die Suche nach einem Gesangsideal, wo Wortausdruck und Tonreinheit feste Bestandteile einer stets warmen und zutiefst spirituellen Interpretation sind.Gemeinsam mit Michel Bernstein (mit dem wir ab 1976 in zahlreichen Einspielungen zusammen gearbeitet haben) waren wir überzeugt, dass der Gedanke, den Klangraum an dem selben Ort wieder zu finden, wo Monteverdi diese Musik aufgeführt haben dürfte, von grundlegender Bedeutung für unser Projekt war. Es erschien uns allen wie eine Pilgerfahrt zum Ursprung, da wir überzeugt waren, dass es möglich war, eine wahre Wechselwirkung zwischen einerseits der Akustik und dem klanglichen Zauber des Originalortes und andererseits dem Willen, die ideale Atmosphäre zur spirituellen und musikalischen Entfaltung dieses großartigen, zugleich aber auch an verschiedenen, entgegen gesetzten Ausdrucksformen reich bestückten Werkes herzustellen.Als ich das Hauptschiff der Kirche betrat, begriff ich sofort die enge Beziehung zwischen diesem Ort und dem Werk. Der imposante Raum, der zur prunkreichen, ja gewissermaßen theatralischen Feier aller verschiedenen Feste der christlichen Liturgie bestimmt war, entsprach voll und ganz dem unermesslichen Reichtum und der Vielfalt der von Monteverdi in seinen Vespern eingesetzten musikalischen Formen und Zusammensetzungen. Leider machte uns während der Einspielung das winterliche, feuchtkalte Wetter so sehr zu schaffen, dass selbst die aufgestellten Heizkörper nicht dagegen anzukämpfen vermochten. Doch die außergewöhnliche Schönheit der Akustik, die im Zuge der sich ergebenden Interpretationen, vor allem aber durch das große Engagement und die Hingabe aller Sänger und Musiker zu Tage trat (die Aufnahmen endeten oft gegen 4 oder 5 Uhr morgens, am letzten Tag sogar um 7:30 Uhr!), ermöglichte diese wahrlich einzigartigen Augenblicke.Dieses menschliche, künstlerische und spirituelle Zusammenwirken wurde dank zweier Mikrofone (omnidirektional „Brüel & Kjaer“, Typ 4009) und der Tonaufnahmekunst von Maria und Michel Bernstein mit der Unterstützung von Pedro Memelsdorff „digital“ verewigt. Sie vermochten es, mit einer unglaublichen Natürlichkeit all die Schönheit und die Kontraste dieses Meisterwerks zu erfassen, die von Sätzen wie dem Konzert „Nigra sum“ mit Solostimme und Begleitung durch Basso continuo (Harfe, Orgel und Gambe) bis zu den Doppelchören mit 60 Sängern und Musikern wie im Psalm „Nisi Dominus“ oder im „Magnificat“ reichen. In solchen wunderbaren Augenblicken beförderte uns trotz aller Müdigkeit und klirrender Kälte die Kraft der in all ihrer Intensität erlebten Musik in eine mystische, fast übernatürliche Dimension, die in dieser neuen Überarbeitung nicht nur voll und ganz bemerkbar ist, sondern auch all die Reichhaltigkeit dieser Einspielung noch stärker verdeutlicht.JORDI SAVALLBukarest, 14. September 2007(1) Rinaldo Alessandrini, Jean-Pierre Canihac, Adrian Chamorro, Bruce Dickey, Lorenz Duftschmid, Daniel Lassalle, Andrew Lawrence-King, Rolf Lislevand, Pedro Memelsdorff, Marco Mencoboni, Enrico Onofri, Paolo Pandolfo, usw.


In der Renaissance und im 17. Jahrhundert waren gesellschaftliches und kirchliches Geschehen eng verknüpft. Das Zusammenfließen der verschiedenen geistigen und humanistischen Strömungen und vor allem die Rivalitäten zwischen laizistischen und kirchlichen Mächten zwischen den Städten und sogar Ländern führten zu einem starken Bedarf an Prunk und Kunst. In diesem Zusammenhang ist gewiss die erste Aufführung der Vespern am 25. Mai 1610 in der Basilika Santa Barbara anlässlich des Verkündigungsfestes und zu Ehren der Töchter von Francesco Gonzaga zu sehen. Jedenfalls schrieb Monteverdi am Anfang jenes Jahres seine Messa a cappella “In illo tempore”, die er gleichzeitig mit den Vespern veröffentlichte. Fast vierhundert Jahre nach seiner Entstehung hat dieses Werk nichts von seiner Ausdruckskraft und außergewöhnlichen Intensität eingebüßt. Das beruht zweifellos im Genie Monteverdis, der es mehr als sonst ein Komponist seiner Zeit verstand, die verschiedenen Bewegungen, die um das Jahr 1600 entstanden waren und aus dieser Periode einen Wendepunkt in der Geschichte der Musiksprache gemacht haben, auszuschöpfen: durch eine Mischung der Stile (antico und moderno), durch ein Bestreben nach dem Ausprobieren und der Suche nach neuen Wirkungen von Ausdruck und Eigenschaft (stile rappresentativo, stile concertato, madrigali guerrieri e amorosi, arie spirituali, usw.), durch die Kunst des „cantare per la gorgia“, die direkt (madrigali passeggiati e diminuti) aus der Entdeckung des „recitar cantando“ (Nuove Musiche von G. Caccini) herrührt. Dazu kommt die Entwicklung der polyphonen Musik mit neuen Versuchen über Raum und Ausdruck, was zu einer allmählichen Liberalisierung der Harmonien führte und eine selten so günstige Kombination der modalen, tonalen und chromatischen Techniken ermöglichte. Das alles bedeutet für uns Interpreten im 20. Jahrhundert eine Fülle von Fakten und Informationen, die man beherrschen und interpretieren muss für einen Schöpfungsakt, der objektive Faktoren wie Text, Notation, Instrumentierung usw. beachtet. Ebenso sind wir uns darüber im klaren, dass es auch eine große Anzahl subjektiver Aspekte gibt, die eine wichtige Rolle spielen, wie zum Beispiel der Textvortrag, das Zusammenspiel der Instrumente, die Dynamik, das Tempo, die Interpretation der „Passaggi“, die Verzierung der Kadenz (der Stile concertato, gewohnlich ohne jede Flexibilität interpretiert). In dem Augenblick, wo man die Ausdruckskraft der Worte in der Poesie und der Musik entdeckt, muss man unbedingt diese Effekte der Rhetorik und Deklamation in den Werken beachten, deren Text lateinisch ist. Indem Monteverdi selbst das Lamento d’Arianna in Pianto della Madonna verändert, ändert er grundlegend den Inhalt und die Bedeutung des Textes, nicht die Rhetorik und die Deklamation, die seiner Zeit entsprechen.Auch wenn wir überzeugt sind, dass die Vespern als konzertantes Werk gedacht waren, als Akt der vom Marienritus inspirierten Andacht, schien uns die Tatsache, dass wir die Antiphone aus der Marienliturgie der Palastbasilika von Santa Barbara zur Verfügung hatten, interessant genug, um diese Antiphone in die vorliegende Fassung einzubeziehen. Was den Stimmton angeht, haben wir ihn auf 440 Hz. gehalten, denn die verschiedenen Forschungstheorien scheinen keine vollkommen zufriedenstellende Lösung zu finden: Warum soll das Magnificat eine Quart tiefer sein, ein Moment, der am meisten Glanz und klangliche Größe erfordert, wenn man weiß, dass die Stimmen sicherlich sehr viel höher lagen – wahrscheinlich einen Ton oder eine verminderte Terz – in jener Zeit und je nach Ort verschieden. So wäre bei einer eventuellen Transposition eine Quart tiefer, wie es die Verwendung bestimmter Schlüssel in der Partitur anzugeben scheint, die wirkliche Stimmhöhe höchstens einen Ton tiefer als in der Partitur. Man muss also alle diese Faktoren zusammenfassen, will man dieser Musik wieder das Leben, die Freiheit und den Ausdruck geben, die sie verdient. JORDI SAVALLÜbersetzung: Dorothea Preiss

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