ENTREMESES DEL SIGLO DE ORO (1550-1650) Lope de Vega y su tiempo

Hespèrion XXI, Jordi Savall, Montserrat Figueras

15,99


Ref: AVSA9831

  • Montserrat Figueras
  • Hespèrion XXI
  • Jordi Savall

Eines der hervorstechenden Merkmale der reichen Theatertradition der iberischen Halbinsel, angefangen von den Dramatikern des frühen sechzehnten Jahrhunderts wie Juan del Enzina in Spanien oder Gil Vicente in Portugal, ist die bedeutende Rolle der Bühnenmusik in diesem Kontext. Schon zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts begannen in jeder Stadt der Halbinsel, in der Theateraufführungen erlaubt waren – und zwar gewöhnlich in einem patio (Innenhof) mit primitiven Sitzgelegenheiten fürs Publikum darum herum –, sowohl die sakralen autos sacramentales als auch die weltlichen comedias in der Regel mit einem tono zu vier Stimmen und Continuo, allgemeint bekannt als cuatro de empezar (wörtlich “vierstimmige Eröffnung”), manchmal gefolgt von einer loa (Lauda). Musikalische “Bühneneffekte” (Fanfaren bei Hofe, militärische Trompetensignale und Trommelwirbel, Donnern im Gewitter, usw.) würden ebenso wie ganze Lieder und Tänze in die Handlung selbst eingebaut werden, und am Ende der Vorstellung gab es manchmal einen musikalischen fin de fiesta (“Festabschluss”). Darüber hinaus erklangen manchmal zwischen den einzelnen Akten Musikeinlagen namens bailes oder entremeses, die oft musikalisch wie dramatisch einen recht hohen Entwicklungsgrad erreichten.
Die Oper im strengen Sinne eines vollständig in Musik umgesetzten Dramas wurde bereits 1627 auf der iberischen Halkbinsel eingeführt, als im Theater des königlichen Palasts zu Madrid, dem Coloseo del Buen Retiro, La selva sin amor aufgeführt wurde, dessen Libretto von keinem Geringeren stammte als dem seinerzeit berühmtesten spanischen Dramatiker Félix Lope de Vega (1562-1635). Dies scheint jedoch ein artifizieller Versuch des jungen Königs Philipp IV. gewesen zu sein, die fortschrittlichen und kosmopolitischen künstlerischen Neigungen seines Hofs in aller Öffentlichkeit zu demonstrieren, höchstwahrscheinlich unter dem Einfluss des päpstlichen Nuntius Giulio Rospigliosi, der während seiner Zeit im Umkreis der Familie Barberini in Rom die Libretti für einige Opern von Stefano Landi verfasst hatte. Die (nicht erhaltene) Musik und das Bühnenbild stammten von zwei Italienern – dem Komponisten Filippo Piccinini und dem Bühnenbildner Cosimo Lotti –, und obwohl Lope de Vega selbst die Aufführung im Vorwort zur später erschienenen Ausgabe seines Stücks überschwänglich lobte, hatte dieses erste Opernexperiment über drei Jahrzehnte lang keine unmittelbaren Auswirkungen. Der spanische Hof musste bis 1660 auf die Inszenierung zweier neuer Opern warten, beide mit Libretti von Perdo Calderón de la Barca (La púrpura de la rosa und Celos aún del ayre matan), und der schließlich gesicherte Erfolg dieser späteren Bemühung, die neue Gattung in Spanien zu etablieren, war mit ziemlicher Sicherheit der Tatsache zu verdanken, dass in diesem Fall die Musik tief in der spezifisch iberischen Bühnentradition verwurzelt war und nicht in Anlehnung an den entlegenen und eher “exotischen” Geschmack der Intellektuellenzirkel von Florenz und Rom gestaltet worden war.
So entwickelten die Bühnen Spaniens und Portugals in den ersten zwei Dritteln des siebzehnten Jahrhunderts weiterhin ihre eigene althergebrachte Tradition der Verbindung von gesprochenem Dialog mit Musik unterschiedlicher Ausdrucksformen fort, statt italienische Opernvorbilder zu übernehmen. Text und Musik wurden in diesen Dramen meist eher informell kombiniert, mehr oder minder gemäß der Anzahl und dem Können der jeweils verfügbaren Musiker, in einigen Fällen auch orientiert am musikalischen Talent der beteiligten Schauspieler selbst. Mehr als die Hälfte der comedias und autos von Lope de Vega enthalten beispielsweise spezifische Hinweise auf bestimmte Lieder, manche mit Texten von Lope de Vega selbst, andere dem seinerzeit aktuellen Liederbuchrepertoire entnommen, und in vielen Fällen kann man diese Gesangsnummern in der einen oder anderen iberischen Musikquelle in Druck- oder Manuskriptform auffinden. Es ist nichtsdestoweniger durchaus anzunehmen, dass die jeweiligen Aufführungen durch eine ausgesprochen flexible Auswahl an Musik gekennzeichnet waren und dass die in der gedruckten, “offiziellen” Ausgabe erwähnten Lieder in gewissem Maße die Gegebenheiten einer bestimmten Inszenierung reflektieren und keineswegs dem heutigen Konzept eines musikalischen Urtexts dieser Stücke entsprechen.
Das weltliche Liedgut des siebzehnten Jahrhunderts, das Aufnahme in Lope de Vegas Theater fand, geht auf die Doppeltradition der polyphonen Liederbücher zurück, die ihren Anfang einerseits mehr als ein Jahrhundert zuvor mit dem Cancionero de Palacio genommen hatte, andererseits mit den Solo-Villancicos und Romanzen mit Instrumentalbegleitung, die ab 1536 in den Vihuela-Büchern von Milán, Narváez und anderen veröffentlichrt wurden. Die alte Unterscheidung zwischen dem villancico mit seinem wiederkehrenden Refrain und der strophischen romance war jedoch inzwischen verloren gegangen, und der Begriff romance wurde nun gleichermaßen auf Werke mit und ohne Refrain sowie den unterschiedlichsten Gestaltungsmerkmalen angewandt, in diesem neuen Kontext geradezu synonym mit tono. Andere häufig anzutreffende Bezeichnungen für dieses Genre sind tonada (bzw. tonada humana), solo (oder solo humano), tonillo, chanzoneta, letra, baile und jácara, die alle lediglich die gleiche generische Gegebenheit eines weltlichen ein- bis vierstimmigen Liedes mit oder ohne ausgeschriebene Instrumentalbegleitung bezeichnen.
Die ganze erste Hälfte des Jahrhunderts hindurch wurde dieses Repertoire in mehreren Liederbüchern gesammelt, die heute in verschiedenen Ländern aufbewahrt werden, darunter unter anderem die beiden in der Nationalbibliothek von Madrid (Romances y letras a tres voces und Libro de Tonos Humanos), zwei in spanischen Privatsammlungen (Tonos castellanos – B und das Cancionero de Onteniente), sowie jene im Besitz der Bibliothek des Ajuda-Palasts (Lissabon), der Nationalbibliothek in Turin, der Casanatense-Bibliothek (Rom) oder der Bayrischen Staatsbibliothek in München – letztere zusammengestellt vom Kopisten der Königlichen Kapelle Spaniens, Claudio de la Sablonara. Zu diesen Manuskriptquellen kommt eine Druckausgabe hinzu, das Libro segundo de tonos y villancicos (Rom 1624), herausgegeben von Juan Arañes, Leibmusiker des Herzogs von Pastrana, seines Zeichens spanischer Gesandter am Apostolischen Stuhl. Doch ist es Sablonaras Sammlung, in der sich heutzutage die größte Zahl von Liedern jener Komponisten findet, die man direkt mit Lope de Vegas Stücken in Verbindung bringt.
Unter letzteren nimmt der aragonische Komponist Juan Blas de Castro (gest. 1631) eine besondere Stellung ein; er war ein enger Freund Lope de Vegas, der ihn in La Vega del Parnaso einen “doppelt göttlichen Musiker” (“dos veces músico divino”) nannte – beide Künstler hatten über einen längeren Zeitraum hin zusammen im persönlichen Hofstaat des Herzogs von Alba gedient. Von ebensolcher Bedeutung ist in diesem Zusammenhang der große flämischer Polyphoniker Matthieu Rosmarin (gest. 1647), in Spanien unter seinem hispanisierten Namen Mateo Romero und unter dem Titel “Maestro Capitán” (“Meister Hauptmann”) bekannt. Er sollte das hohe Amt des Kapellmeisters der Flämischen Kapelle erlangen – diese renommierte musikalische Institution stand seit den Zeiten Philipps des Schönen und Karls V. im Dienste der spanischen Könige. Ein weiterer Komponist, der sich zu Lebzeiten Lope de Vegas als Urheber von Liedern fürs Theater auszeichnete, war der Portugiese Manuel Machado (gest. 1646), Sohn eines Harfenisten an der spanischen Königlichen Kapelle, dessen Werke in mehreren Anthologien in Manuskriptform aus dieser Epoche sorgsam aufgezeichnet wurden.
Diese zwei- bis vierstimmigen Lieder beruhen gewöhnlich auf klangvollen Melodien, von denen manche unmittelbar vom schlichten traditionellen romancero der iberischen Halbinsel inspiriert wurden, während andere kunstvoller aufgebaut waren und oft eine raffinierte Struktur und besonders ausdrucksvolle, fast madrigalistische Textbehandlung aufwiesen. Die polyphone Textur tendiert zum Dialog zwischen den Oberstimmen, mit Parallelbewegung auf der Terz oder Sext sowie homophoner Deklamation energischer rhythmischer Figuren statt streng imitativem Kontrapunkt. Oft treten lebhafte, tänzerische Rhythmusschemata hervor, die eindeutig verschiedenen iberischen Volkstänzen entnommen sind, von canarios und passacalles bis hin zu jácaras and seguidillas.
Lope de Vega beschäftigte sich auch eingehend mit religiösen Themen, besonders in seinen Rimas Sacras, einer Sammlung von andächtiger Lyrik, aus der das eindrucksvolle Si tus penas no pruebo, Jesus mío entnommen ist, dargeboten als “Liebesmonolog einer Seele, die sich an Gott wendet”. Bedeutsamerweise wählte Francisco Guerrero (gest. 1599), der dramatisch gefühlsbetonteste iberische Komponist sakraler Polyphonie im letzten Drittel des sechzehnten Jahrhunderts, dieses Gedicht für eine der ergreifendsten Vertonungen in seiner Sammlung von Canciones y Villanescas espirituales (Venedig 1589). Obwohl sich der Stil dieser Komposition offenkundig von dem der meisten anderen Gesangswerke der vorliegenden Einspielung unterscheidet, trägt sie doch dazu bei, uns ein umfassenderes Bild von der großen Spannweite der Verbindungen Lope de Vegas zur Musik seiner Zeit zu vermitteln.
Natürlich können wir davon ausgehen, dass die geschliffenen kontrapunktischen Fassungen, die im polyphonen Repertoire der Liederbücher erhalten sind, diejenigen sind, die in tatsächlichen Aufführungen der Epoche Lope de Vegas zum Einsatz kamen. Höchstwahrscheinlich sangen oft Schauspieler die Hauptmelodien mit improvisierter Instrumentalbegleitung, manchmal gespielt von einem Ensemble, das sich an die althergebrachten Prinzipien des contrapunto concertado hielt, die seit Mitte des sechzehnten Jahrhunderts in der Musiktheorie der iberischen Halbinsel erläutert und veranschaulicht worden waren, manchmal auch nur von einer Gitarre oder einem anderen akkordischen Instrument wie dem Cembalo oder der Harfe. Und selbst da, wo ausgeschriebene polyphone Sätze verwendet wurden, bleibt die Problematik praktischer Lösungen bei der Instrumentierung ebenso wie wesentliche Aspekte der Aufführungspraxis wie Verzierung und Diminution (“glosa”) heute einer Vielzahl von Interpretationen bei der Rekonstruktion ausgesetzt, wenn man die Prinzipien in Betracht zieht, die bereits von Theoretikern wie Diego Ortíz (1553), Juan Bermudo (1555) und Tomás de Santa María (1565) erörtert wurden.
Viele der Bezüge auf Musik in Lope de Vegas Dramen verweisen jedoch nicht auf bestimmte Lieder, die in den vorhandenen Musikquellen aufzufinden wären, sondern beschränken sich auf allgemeine Hinweise wie “aquí cantan con guitarra” (“an dieser Stelle singen sie zur Gitarre”), “aquí cantan y bailan” (“an dieser Stelle singen und tanzen sie”) oder gar nur “suena música” (“hier ist Musik zu hören”). Damit eröffnet sich ein weites Feld für jeden Versuch, das musikalische Milieu seines Theaters zu rekonstruieren, insbesondere in Hinblick auf die Instrumentalmusik. Neben rein instrumentalen Fassungen des Gesangsrepertoires der Liederbücher existiert ein riesiges solistisches Repertoire speziell zur instrumentalen Darbietung verfasster iberischer Musik – von Ortíz’ recercadas für Gamben von 1553 bis hin zum gesamten Schatz von Vihuela- und Tastenmusik, der ab der Mitte der 1530er-Jahre veröffentlicht wurde –, dem man für diese Zwecke eine Auswahl geeigneter Werke entnehmen kann. Das vorliegende Album bietet eine Zusammenstellung von Kompositionen, die diese vielfältigen Gebiete des Instrumentalrepertoires exemplifizieren. In seinem bahnbrechenden Trattado de glosas hatte Ortíz eine Reihe virtuoser Diminutionen über mehrere der beliebtesten Bass-Ostinati seiner Zeit vorgestellt, darunter jene über das Passamezzo moderno und die Romanesca, die hier eingespielt worden sind. Das reiche spanische Repertoire für Vihuela ist vertreten durch Anríquez de Valderrábanos zwei Sonette aus seiner veröffentlichten Sammlung von 1547, die für eine ausgefeilte Tradition des instrumentalen Kontrapunkts stehen, die europaweit eine führende Stellung in der Entwicklung des Komponierens für Zupfinstrumente einnahm.
Schließlich stellen wir im Rahmen dieser Aufnahme noch Werke dreier bedeutender Komponisten von Tastenmusik jener Zeit vor: von António de Cabezón (gest. 1566), dem großen Orgelvirtuosen im Dienst der Königlichen Kammermusik Philipps II., von Sebastián Aguilera de Heredia (gest. 1627), der sich als Organist der Kathedrale von Saragossa auszeichnete, und von dem Andalusier Francisco Correa de Arauxo (gest. 1654), dessen Facultad Orgánica (1626) im gesamten siebzehnten Jahrhundert einer der einflussreichsten Orgeldrucke der iberischen Halbinsel war. Cabezóns Kompositionen zeugen sowohl von der Tradition des tiento, einer typisch iberischen kontrapunktischen Gattung von Instrumentalmusik mit Ähnlichkeiten zum italienischen ricercare, als auch von der um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts vorherrschenden Mode für Tastendiminutionen über beliebte franko-flämische polyphone chansons, in diesem Fall vertreten durch das Lied La dama le demanda.
Unter den Werken von Correa und Aguilera sollten wir jene hervorheben, die für eine weitere typisch iberische Gattung von Orgelmusik stehen, nämlich die sogenannte “batalla”, eine Art Schlachtengemälde, das wahrscheinlich im Verlauf der Messe während der Elevation als eine Art musikalischer Darstellung des mystischen Wettstreits zwischen Gut und Böse dargeboten wurde. Wie ihr gesungenes Gegenstück, die “misa de batalla”, verwendet sie in ihrem Bemühen um die Darstellung von Schlachtenlärm die theatralischen Motive aus Janequins berühmter Chanson La bataille de Marignan. Die wachsende Zahl und Vielfältigkeit strahlender Zungenstimmen im Orgelbau der iberischen Halbinsel erleichterte die Auswahl von Klangfarben für diese musikalische Darstellung, die auf die Gemeinden der örtlichen Kathedralen höchst eindrucksvoll gewirkt haben muss. Bei Correa de Arauxos Version – mit direktem Bezug auf eine Messe von Cristóbal de Morales, die wiederum dem Vorbild von Janequins oben erwähnter Chanson gefolgt war – handelte es sich um das erste Werk in der Entwicklung eines Genres, das weitere hervorragende Exempel nicht nur von seinem Zeitgenossen Aguilera de Heredia, sondern auch von späteren spanischen und portugiesischen Meistern wie Pedro de Araújo, Diego da Conceição, José Ximénez oder Joan Cabanilles hervorbringen sollte.
Lope de Vegas Meisterwerke lassen sich nicht als rein literarisches und dramatisches Genre begreifen ohne ein klares Bewusstsein des stetigen Wechselspiels zwischen Musik und gesprochenem Dialog, das sich bei den ursprünglichen Inszenierungen auf der Bühne ereignete. Doch über diese unmittelbare Verbindung im Rahmen der ursprünglichen Aufführungspraxis hinaus ist Lope de Vegas Theater auch ein wesentlicher Bestandteil der vereinheitlichten kulturellen und geistigen Weltsicht, die die gesamte iberische Halbinsel im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert definiert und bestimmt. Somit hat es mit der Musik jener Zeit und Region eine weitere Ebene tiefer gegenseitiger Durchdringung gemeinsam. Mit der vorliegenden Zusammenstellung zweier seiner gefeiertsten klassischen Einspielungen dieses Repertoires bieten uns Montserrat Figueras und Jordi Savall erhellende Einsichten sowohl in den musikalischen Aspekt des Theaters als auch in den theatralischen Aspekt der Musik im faszinierenden Erbe des spanischen Siglo de Oro.

RUI VIEIRA NERY
Universität Évora

Übersetzung: Anne Steeb/Bernd Müller

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